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(Un-)eindeutig sichtbar werden

Buchautor_innen
Hugs and Kisses
Buchtitel
Issue #6 - Queer Femininities
Mit seiner sechsten Ausgabe legt das Hugs and Kisses-Magazin einen Schwerpunkt auf die gerade im deutschsprachigen Raum nur selten thematisierten Potentiale queerer Konzepte von Weiblichkeit.

Hugs and Kisses – das ist ein Magazin, das sich vor allem durch seine Offenheit und die Verknüpfung von Party, (Pop-)Kultur und radikaler Politik auszeichnet, „tender to all gender“. Die im April 2010 erschienene sechste Ausgabe nimmt Weiblichkeiten in vielfältigen Erscheinungsformen in den Blick und fragt mit selbstkritischem Blick nach deren Sichtbarkeit und Standing, nach Schwierigkeiten und Möglichkeiten innerhalb der Szene ebenso wie im gesamt-gesellschaftlichen Kontext. Das mit dem golden leuchtenden Hochglanzcover bestückte Heft weist auch im Inneren eine durchaus edle Gestaltung auf; Texte und zahlreiche Fotos und Illustrationen wirken im farbenfrohen Layout zusammen.

Thema: Queere Femininitäten

Die Zugangsweise zum Thema zeichnet sich durch den Einbezug von Akteur_innen aus, denen in Portraits und Interviews viel Raum zur Selbstrepräsentation gegeben wird. Spannend sind die Vergleiche der aktuellen Situation im internationalen Kontext, wobei oftmals eine gewisse Rückständigkeit der queeren Community in Deutschland (bzw. Berlin) in Bezug auf eine Würdigung, Anerkennung und Sichtbarkeit von Femmes thematisiert wird. Nach zwei einführenden Texten, die zunächst den Rahmen queerer Femininitäten abstecken, folgt ein Interview mit der Femme Tania Witte und der Tunte Didine van der Platenvlotbrug, das beeindruckende Überschneidungen offenbart und zum Banden-Bilden einlädt. Die Begriffe Femme und Tunte werden dabei ohne Rückkoppelung an irgendein ‚eigentliches‘ Geschlecht als Performances gedacht, die gemeinsam einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnen.

Das Interview mit der Berlin Femme Mafia zeigt eine Gruppe, die sich die Gestaltung von Partys auf die Fahne geschrieben hat, auf denen die Identifikation von Weiblichkeit mit der Anbiederung an patriarchale Vorstellungen in Frage gestellt und statt dessen gerade die gegenläufigen, subversiven Potentiale von Femininität gewürdigt werden.

Die Bildstrecke aus Femmes of Power von Del LaGrace Volcano bietet einen imposanten und bunten Überblick über verschiedenartige Aneignungen queerer Weiblichkeit. Die folgenden Portraits zeigen weitere solcher heterogener Möglichkeiten auf. Des Troy, ein „Pony gefangen im Körper einer Tunte“ (S. 43), forciert noch einmal den Eindruck, dass weiße männliche Privilegien auch in queeren Räumen noch lange nicht immer reflektiert werden. So lasse sich oft beobachten, dass ein ‚Zuviel‘ an Weiblichkeit im Nahbereich, etwa bei Trans*frauen, leicht zu panikartigen Reaktionen führe. Die Akzeptanz von Tunten, die ein eher durch männliche Attribute gebrochenes Bild der Weiblichkeit zeichnen, stehe dem dank besagter Privilegien gegenüber. La Rosenfeld wirft einen Blick auf das Kategorisierungsbedürfnis innerhalb der queeren Berliner SM-Szene, dem sie nur die politische Entscheidung der Aneignung ihrer (Fremd-)Identifikation als Femme entgegensetzen konnte. Ulrika Dahl reflektiert im Portrait ihre Mitarbeit an Femmes of Power und propagiert die Performance-Perspektive auf Femmeness, die nicht zum Rückgriff auf definitorische Vereindeutigungen gezwungen ist. Gerade die Uneindeutigkeit von Femmes und ihre mögliche Identifikation als Hetera wird dabei zu einem Moment, das auch die in der queeren Szene herrschenden Identitätspolitiken in Frage zu stellen vermag. Das anschließende Portrait von ingoe.deltraut würdigt mit leichter, aber affirmierender Distanz zum politischen Aktivismus die Verdienste des transgenialen CSD, bei dem die Frage queerer Identität nicht von derjenigen nach einer Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Gänze entkoppelt wird. Als „Weibsherrlein“ (S. 49) tritt hier die Weiblichkeit in eine fast symbiotische Beziehung mit Männlichkeit ein, die ein authentisches Subjekt im „DAzwischenSEIN“ (S. 49) schafft. Das Portrait-Interview mit Judy Minx wirft einen Blick nach Frankreich, in dem sich jedoch abermals das Problem der Unsichtbarkeit von Femmes in der Berliner Szene spiegelt. In Differenz zu anderen Ansätzen, die Geschlecht als weniger relevante Koordinate betrachten, wird Femme hier als ein Gender aufgefasst, während dafür sexuelle Orientierung weniger eine Rolle spielt. Schließlich betritt als intersektionale Verknüpfung auch noch die Thematisierung von Race/Ethnizität als ein Femme-Faktor die Bühne, wenn das Vorherrschen weißer Schönheitsideale in der queeren Szene reflektiert wird.

Gesellschaft

Im Gesellschaftspart findet sich ein Interview mit Heinz-Jürgen Voß, der die Ergebnisse seiner unter dem Titel Making Sex Revisited veröffentlichten Promotion zur Konstruiertheit des Geschlechts aus biologischer Perspektive wiedergibt und die medizinisch-biologischen Selbstverständlichkeiten bei der Geschlechtszuweisung hinterfragt. Es folgt eine Vorstellung der Gruppe Fight Lookism aus Berlin, die eine beherzt unakademische Haltung an den Tag bringt. So gehe es ihnen weniger darum, die Reihe von -ismen um ein weiteres distinktes Element zu erweitern, sondern die Griffigkeit des Begriffs diene eher der künstlerischen Intervention im öffentlichen Raum, die auch ohne vertrackte theoretische Fundierung ihre Wirkung erzielt. Statt ein politisches Programm des richtigen Lebens zu formieren, macht die Gruppe ‚nur‘ die Vergrößerung von Möglichkeiten der Selbstaneignung und Anerkennung geltend – und das können auch Schönheits-OPs, Bodymodification oder eben Kunst leisten. Das Interview mit Hugs and Kisses-Redaktionsmitglied Tim Stüttgen zu seinem Buch Post/Porn/Politics liefert eine abseits von PorNo und PorYes stattfindende Beschäftigung mit queerer (Post-)Pornographie, die gerade die (Selbst-)Reflexion der eigentlichen pornographischen Aktivität einfordert. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Schwierigkeit, mit einer Identität als Trans*mann die Dating-Webseite Gay Romeo zu benutzen und fördern erschreckende Definitionsdefizite auf Seiten mindestens eines Administrators des „Transmann-inklusiven“ Forums zu Tage. Gleichwohl entpuppen sich die beiden Beiträge nebeneinander als Lovestory eines Paares, das trotz aller Schwierigkeiten über Gay Romeo zusammengefunden hat. Im den Gesellschaftspart abschließenden Interview mit Juba Kalamka werden noch einmal eine ganze Reihe von Privilegien reflektiert und ein versierter Umgang damit an den Tag gelegt. Zur Sprache kommen Erfahrungen bei der Realisation von Homohop-Events, mit Race, (Dis-)ability, Sexarbeit, Pornographie und AIDS. Neben dem positiven Ausleben von Lust und Genuss wird des Weiteren auf die ergänzende Wichtigkeit von Reflexion und Aftercare verwiesen.

Popkultur

Im Part „Popkultur“ werden schließlich der mit dem Teddy-Award der Berlinale ausgezeichnete Spielfilm Open von Jake Yuzna und die Dokumentation Nobody passes perfectly von Saskia Bisp in interessanten Interviews vorgestellt. Gemeinsam ist beiden Filmen der Bezug auf eine Offenheit, die beispielhaft aufzeigt, was abseits althergebrachter Vorstellungen von Partnerschaft und Sexualität möglich ist. Musikalisch kommen noch Hunx and his Punx sowie God-des and She zur Sprache, wobei vor allem im letzteren Interview noch einmal eine beeindruckende Bemühung um Selbstreflexion der Redaktion zum Tragen kommt, wenn die beiden Rapperinnen über ihre durch Szenenauswahl und Schnitt bedingte Gefühlsverletzung durch das Filmprojekt Pic up the mic, von dem Juba Kalamka zuvor ein sehr positives Fazit zog, berichten. Von gemischten Gefühlen geplagt wird auch Wibke Straube in ihrer Review von Doris Leibetseders Queere Tracks. Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik. Skeptisch bewertet sie vor allem die ihrer Ansicht nach wenig kontextualisierten Zitate von Autoren, die pathologisierende Kriterien an Transsexualität anlegen sowie das Verharren in einem wissenschaftlichen Dissertationsformat, das mehr Musik, Ich-Form und Queerness hätte enthalten können.

Resumé

Als Fazit bleibt zu ziehen, dass es sich um ein hervorragendes Magazin handelt, wie es in dieser Intensität nur selten vorkommen mag. Die Präsentation des Themenschwerpunktes ist sehr gelungen, fächert ein riesiges Repertoire queerer Femininitäten auf und beeindruckt durch tiefschürfende und mutige Selbstreflexionen und die beständige Hinterfragung der eigenen Maßstäbe, Privilegien und Normen sowohl der Redaktion als auch der Interviewpartner_innen. Dafür haben sie sich ihren Namen mehr als verdient. xoxo.

Hugs and Kisses 2010:
Issue #6 - Queer Femininities.
102 Seiten. 4,00 Euro.
Zitathinweis: Jorane Anders: (Un-)eindeutig sichtbar werden. Erschienen in: Fem(me)_ininitäten. 5/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/c/907. Abgerufen am: 29. 03. 2024 06:37.

Zur Rezension
Rezensiert von
Jorane Anders
Veröffentlicht am
09. Juni 2011
Erschienen in
Ausgabe 5, „Fem(me)_ininitäten” vom 09. Juni 2011
Eingeordnet in
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Hugs and Kisses 2010:
Issue #6 - Queer Femininities.
102 Seiten. 4,00 Euro.