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Geschlecht und extrem rechte Einstellungsmuster

Buchautor_innen
Ursula Birsl (Hg.)
Buchtitel
Rechtsextremismus und Gender
Ergänzend zu in den letzten Jahren erschienen Werken, welche sich mit extrem rechten Frauen auseinandersetzen, beschäftigt sich der vorliegende Sammelband mit geschlechtervergleichenden Aspekten bei Ideologien der Ungleichwertigkeiten.

Dass rechte und menschenverachtende Einstellungsmuster kein rein „männliches“ Problem sind, ist mittlerweile auch jenseits antifaschistischer Theorie bekannt und wird in der Forschung unterschiedlich dekonstruiert. Dies hängt auch mit einem Paradigmenwechsel innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung selbst zusammen, dessen Ursachen vielschichtig sind: einerseits die Wahlerfolge extrem rechter Parteien Anfang der 1990er Jahre sowie die Heitmeyer-Studie zu rechtenen Jugendlichen, bei welcher konstatiert wurde, dass weibliche Jugendliche weniger anfällig für rechtes Gedankengut seien als männliche Jugendliche, was zu neuen, dieser Perspektive gegenüber kritischen Untersuchungen führte (vgl. S14 ff).

Ursula Birsl stellt in dem Sammelband Gender und Rechtsextremismus nicht nur die Geschlechterkonstruktionen in der extremen Rechten dar, sondern geht auch auf Einstellungen und Zugänge zu Ideologien der Ungleichwertigkeit ein. Anhand empirischer Untersuchungen und geschlechtervergleichender Analysen wird dabei der Themenkomplex extreme Rechte auch jenseits von rechten Subkulturen und Parteien anhand der Strukturkategorie Geschlecht genauer eingeordnet. Der Sammelband ist in fünf Themenbereiche untergliedert, wobei einzelne Artikel im Folgenden näher betrachtet werden.

Einordnungen

Im Kapitel „Einordnungen“ wird nicht nur klar gegen die Extremismustheorie Stellung bezogen und auf Antisemitismus eingegangen, sondern des Weiteren auf die Rollenkonzepte und Motive von Männern und Frauen eingegangen, die sich in der extremen Rechten bewegen. Christoph Butterwegge setzt sich in seinem Artikel „Linksextremismus = Rechtsextremismus?“ kritisch und zum Teil bissig-erheiternd mit der Extremismustheorie, ihren Verteidigern (durchweg Männer, wie Butterwegge anmerkt) sowie der Gefährlichkeit der Gleichsetzung von linkem Gedankengut mit extrem rechten und menschenfeindlichen Einstellungen auseinander. „Wer nach zwei Seiten zugleich schaut, haut nie gezielt und trifft kaum seinen eigentlichen Gegner“ (S. 34) stellt Butterwegge dazu fest. Er verweist darauf, dass diese Gleichsetzung dem Ziel dient, die „bürgerliche Mitte“ selbst und so den Staat zu stützen, eine inhaltliche Nähe von Vertretern der Extremismustheorie zu konservativen Wertvorstellungen dabei aber immer mehr die Linke im Blick hat, als wirklich analytische Trennschärfe zu beweisen.

Birgit Rommelspacher geht in ihrem Artikel näher auf „Frauen und Männer im Rechtsextremismus – Motive, Konzepte und Rollenverständnisse“ ein und liefert hiermit einen sehr guten Einstieg in die Thematik. Vor allem die Diskrepanz zwischen der Männerdominanz in der öffentlichen Wahrnehmung und der ausgeglichenen Geschlechterverteilung von extrem rechten Einstellungen wird von ihr kritisch hinterfragt. Dies leitet sie aus den unterschiedlichen, geschlechtsspezifischen Verhältnissen zur extremen Rechten ab – für Frauen ergeben sich andere Motive und Zielsetzungen als für Männer (vgl. S. 45). So haben rechte Einstellungen auch nach sozialer Lage unterschiedliche Funktionen, können aber nicht allein aus dieser erklärt werden. Rommelspacher führt dazu aus, dass im Zusammenhang von Diskriminierung und Privilegierung durchaus von einer kompensatorischen oder affirmativen Komponente ethnischer Dominanz – also dem positiven Bezug auf eine Höherwertigkeit des eigenen deutschen, weißen Status – gesprochen werden kann. Weiterhin führt sie aus, welche Thematiken gerade für rechte Frauen interessant sind. Hier wird die Familie als Keimzelle der Nation gesehen, die aus traditionellen Geschlechterarrangements heraus Aufgabe von Frauen sei. Interessant ist hierbei, dass Rommelspacher auch auf esoterische Strömungen und die Bedeutung der Mutterrolle innerhalb dieser eingeht. Im Fazit spricht sie sich dafür aus, dass man aufgrund der Komplexität des Themas von verschiedenen „Rechtsextremismen“ sprechen müsste, „die jeweils unterschiedliche soziale Gruppierungen und auch unterschiedliche soziale Erfahrungen ansprechen“ (S. 65).

Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen in der extremen Rechten

Im dritten Kapitel finden sich verschiedene Analysen, die mehrere Dimensionen von extrem rechten Ideologien im Zusammenhang mit Gender beleuchten. Neben einem Artikel von Nora Räthzel, der sich diskursanalytisch mit Geschlecht und Rassismus auseinandersetzt und so auch die Einordnung rassistischen Denkens jenseits von extrem Rechts darstellt, und zwei Weiteren zur Konstruktion von Männlichkeiten durch Kurt Möller und Jörn Hüttmann findet sich zudem ein Artikel von Renate Bitzan.Unter dem Titel „‚Reinrassige Mutterschaft‘ versus ‚nationaler Feminismus‘ - Weiblichkeitskonstruktionen in Publikationen extrem rechter Frauen“ stellt sie drei verschiedene Typen von weiblichen Orientierungsmustern.in der extremen rechten dar: „Der Klassiker“ der nationalen Mutterschaft, bei welcher nicht nur die Gebährfähigkeit der Frauen im Vordergrund steht, sondern auch Brauchtumspflege zu ihren Aufgaben gehören. Die Gemeinschaft deutscher Frauen (GDF) wird als Vertreterin dieser Weiblichkeitskonstruktion herangezogen und Texte von ihnen ausgewertet. Daneben werden als zweiter Typ modernisierte Modelle vorgestellt, bei denen es neben Mutterschaft auch um die Vereinbarkeit mit Berufstätigkeit und Kinderbetreuung, aber auch sexualisierte und/oder subkulturelle Selbstinszenierungen geht, wie es beispielsweise bei extrem rechten Skingirls der Fall ist. Als Drittes wird auf sexismus-kritische extreme Rechte eingegangen, wobei diese junge und minoritäre Gruppe innerhalb rechter Weiblichkeiten einen Egalitätsanspruch formuliert, der zum Teil gefährliche inhaltliche Nähe zu selbstbezeichneten Feministinnen aufweisen kann.

Von Zugängen zu Ausstiegen

Im Kapitel „Einstellungen, Zugänge, Gelegenheitsstrukturen“ wird aus soziologischer Perspektive auf Persönlichkeitsprofile und Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in geschlechtervergleichender Perspektive eingegangen und zudem die Zugangsmöglichkeiten in rechte Jugendcliquen oder die Geschlechterbilder in Studentenverbindungen näher betrachtet. Bei „Erkenntnissen aus der Praxis“ betrachtet Dierk Borstel genauer die Ein- und Ausstiegsprozesse aus der extrem rechten Szene , wobei als Einstiegsweg sowohl die Familie, die Peer Group, eine generelle Systemkritik – die sich an nationalistisch-chauvinistischen oder völkischen Perspektiven orientiert – oder aber die Orientierung an „Einstiegsversprechen“, die beispielsweise in Kameradschaften gemacht werden, hervorgehoben werden. Diese Einordnungen basieren auf Erfahrungen des Aussteiger_innenprojekts Exit. Neben verschiedenen Gründen für Ausstiege wird sich für eine ausstiegsorientierte Arbeit ausgesprochen, die sich in fünf Kriterien bemisst, welche aus linker Perspektive kritisch zu hinterfragen sind: Ergibt die Unterstützung von Ausstiegsprozessen oder auch der Einsatz von Dissident_innen noch Sinn, so wird zudem eine Zusammenarbeit von Ausstiegs-Initiativen und den Sicherheitsorganen der BRD eingefordert, um den Schutz von Austeiger_innen zu gewährleisten, was angesichts aktueller Diskussionen rund um die Rolle des Verfassungsschutz und Verfehlungen der Polizei in Bezug auf den Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) mehr als fragwürdig daherkommt. Dass aber eine Offenlegung des in der extrem rechten Szene erworbenen Wissens über Personen, Zusammenhänge und Aktivitäten nicht eingefordert wird, und auch der eigene Umgang mit Gewalt sich nur unter der „kritischen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit“ (S. 312) wiederfinden lässt, zeigt, dass hier eine Betrachtungsweise vorherrscht, die gänzlich andere Ansprüche an einen Ausstieg stellt, als es linke, antifaschistische Positionen tun würden. Zudem wirft Borstel auf, dass linke Positionen oftmals einfordern, dass es im Rahmen eines Ausstieges zu einer Anerkennung linker Inhalte kommen solle, was mir bis dahin gänzlich unbekannt war.

Fazit

Allgemein ein empfehlenswertes Buch, wenn man sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen betreffend der Thematik näher beschäftigen möchte. Positiv ist meines Erachtens vor allem der Aufbau des Buches, der anhand der Artikelauswahl auch darauf verweist, dass extrem Rechte Positionen genauso in der Mitte der Gesellschaft wiederzufinden sind und unterschiedlichste Ursachen haben und gerade geschlechterspezifische Zugänge zu Politik hierbei eine Rolle spielen. Auch die Zusammenführung von feministischer Forschung und Männlichkeitsforschung im Bereich der extremen Rechten zeigt die Aktualität des Buches auf. Allerdings hinterließ bei mir der letzte Artikel einen schalen Beigeschmack, genau wie die unterschiedliche Begriffsverwendung (von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit über Ideologien der Ungleichwertigkeit hin zu Rechtsextremismus) bei mir zum Teil Fragezeichen hervorrief, da ich mir eine genauere analytische Einordnung gewünscht hätte.

Ursula Birsl (Hg.) 2011:
Rechtsextremismus und Gender.
Verlag Barbara Budrich, Opladen.
ISBN: 978-3-86649-388-9.
337 Seiten. 33,00 Euro.
Zitathinweis: peps perdu: Geschlecht und extrem rechte Einstellungsmuster. Erschienen in: Rechter Terror und "Extremismus". 15/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/c/993. Abgerufen am: 19. 04. 2024 02:21.

Zum Buch
Ursula Birsl (Hg.) 2011:
Rechtsextremismus und Gender.
Verlag Barbara Budrich, Opladen.
ISBN: 978-3-86649-388-9.
337 Seiten. 33,00 Euro.