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Good-bye, Karl Marx

Buchautor_innen
Cyril Northcote Parkinson
Buchtitel
Good-bye, Karl Marx
Vor vierzig Jahren: Parkinson legt Marx zu Grabe - Zur einstweiligen Besänftigung der Angst.

1967: Parkinson, der verdienstvolle Entdecker des Parkinson-Gesetzes, wollte für seine Klasse noch etwas unternehmen. Er hatte von ungünstigen Prognosen über deren Ende gehört und machte sich daran, deren Urheber rechtzeitig zu beseitigen. Als einer von vielen seither - ohne endgültigen Erfolg.

Pompös sein Eingangssatz:

”Die Bedeutung jeder menschlichen Gemeinschaft beruht auf Führerschaft und diese auf erfolgsorientiertem Handeln. Die Gesellschaft muss sich klarer Zielsetzungen bewusst sein: Defensiv in den frühen Phasen ihrer Entwicklung, konstruktiv oder gar aggressiv, wenn der Druck von außen nachlässt. Große Leistungen des Denkens oder der Kunst entstanden in der Regel dort, wo die Gesellschaft ein offensichtliches und außerhalb ihres eigenen Bereichs liegendes Ziel verfolgte. Kraftvolle Völker haben über die eigene Gemeinschaft hinausgesehen; ihre Literatur, ihre Musik waren ein Nebenprodukt ihres Selbstbehauptungswillens und ihrer Entschlossenheit, die eigenen Rechte zu wahren (...) Dieser Zeitabschnitt endete für England mit dem Tod der Königin Victoria. Im 20. Jahrhundert haben die Engländer ihr Sendungsbewusstsein verloren. Ihre Anstrengungen ließen nach, zielten nun auf die inneren Verhältnisse des Landes. Man sprach vom sozialen Fortschritt” (S. 9 / Erster Abschnitt des Vorworts).

Nach dieser Voraussetzung könnte die Untersuchung zu Ende sein. Ist sie auch. Von der Notwendigkeit der Führerschaft hat Marx so selten geredet wie von den notwendigen Entwicklungsstufen des Imperialismus. Für Parkinson freilich schließt der Gedankengang seiner Untersuchung ganz logisch:

“Die wichtigste These jenes Programms, an dem sich unsere Politik für den Rest dieses Jahrhunderts orientieren müsste, sollte nicht höhere Löhne oder Dividenden verlangen, sondern dies: England muss wieder ein klares Bewusstsein seiner nationalen Bestimmung bekommen – ein Ziel, für das die Menschen bereit wären, ihr Leben hinzugeben. Die Zukunft gehört der Partei, die uns den Weg dahin zeigen kann – nicht zurück zu den Träumen von Beatrice und Sidney Webb, sondern vorwärts in die Welt, in der wir leben müssen. Welche Partei wird das sein?” (S. 174 / allerletzter Schluss-Satz).

Vielleicht empfiehlt sich eine Neuauflage für unsere CDU/FDP-Regierung. Das mit den gering gehaltenen Dividenden müsste verschämteren Ausdruck finden. Aber “Leben opfern in anderen Ländern” – hat Wehrmachtsminister zu Guttenberg etwas anderes gemeint, als er sein Vaterland letzte Woche als Söldnerfundus für alle Welt empfahl?

Die Strecke zwischen erstem und letztem Satz wirkt zugegebenermaßen enttäuschend: Parkinson ringt ausschließlich gegen die englische Labour-Partei in England. Nur: Wer im europäischen Festland hat die englischen Labour-Typen jemals für besonders marxistisch gehalten? Hier erwirbt sich sogar Parkinson ein bescheidenes Verdienst. Schlagend weist er nach, dass die Sorte Labour, die wie üblich vor dem Bolschewismus zurückschreckte, in ihren Widersprüchen hoffnungslos hängen blieb.

Mit Marx selbst beschäftigt sich nur ein Kapitel der grundlegenden Überlegung: “Der große Widerspruch“. Sein Hauptargument ist das des englischen Denkers Spencer. Dessen Diagnose: Marx erschütternd unpraktisch, nie groß im Werksaal gewesen, ohne Kontakt mit anderen Arbeiterführern, immer auf Punp angewiesen.
Ja, ja! Dagegen ein Spencer! Freilich: Galilei kannte sich perfekt mit fast allen Handwerkskünsten seiner Zeit aus – und doch hatte er die Kraft, das zu bestreiten, was vor Augen lag: Dass die Sonne sich morgens über unseren Horizont erhob und abends wieder hinter dem unseren unterging. Wenn vielleicht auch ehrenrührig – Kepler war nach unserer Kenntnis niemals persönlich auf einem anderen Weltkörper! Es gibt – auch wenn Parkinson als Positivist das bis ins Zahnfleisch weh tut – Erkenntnisse, die wenn auch aus augenscheinlichen Wahrnehmungen abgeleitet, über diese hinausreichen.

Parkinsons Diagnose ist damit schon zu Ende: ”Man versteht Karl Marx, den Menschen und sein Werk am besten, wenn man ihn als Juden ohne Vaterland, einen Professor ohne Lehrstuhl, einen Autor ohne Leserschaft sieht” (S. 45).

Der erste Satz ist nicht so sehr antisemitisch gemeint, sondern eher vaterländisch gönnerhaft. Nicht-Engländer können es laut Parkinson sowieso nicht weit bringen. Sonst enteignet Parkinson hier einen Gedanken, den meiner Kenntnis nach Freud am deutlichsten ausgesprochen hat: Juden sind in der neueren bürgerlichen Gesellschaft immer in zwei Kulturen erzogen. Insofern – als wirkliche Zaunsitzer – häufig befähigt, auf die eigene Überlieferung mit zugleich fremdem und trotzdem vertrautem Blick zu schauen: analytisch. Was Freud positional deutet, wird für Parkinson erbliche Eigenschaft - und damit Unsinn.

Die beiden letzten Sätze verdanken sich Parkinsons Unwissenheit. Die in den USA erschienenen Aufsätze Marxens und Engels’ wurden erwartet und gelesen. Und dass noch zu Marxens Lebzeiten sich Parkinsons Vorläufer ans Widerlegen machten, spricht für professorale Wahrnehmung. Mehr bietet Parkinson gegen Marx selbst – so unglaublich es klingt – nicht auf. Nichts über den schwierigen Begriff des Mehrwerts, nichts von der Möglichkeit, Wertsteigerung durch intellektuelle Einfälle einzelner Genies zu erklären usw. – was sonst so umläuft. So viel Komplikationen konnte Parkinson seinen englischen Kunden nicht zumuten.

Die Analyse der Verflachung bei den englischen Sozialdemokraten wirkt als Vorwegnahme derjenigen in Deutschland. Den heutigen Tiefpunkt hat Parkinson nicht vorausgesehen. Den angeblichen Höhepunkt Ende der neunziger Jahre im Schröder-Blair-Papier allerdings auch nicht.

Lustig Parkinsons Beitrag zur Klassenversöhnung: Demnach machen die Sozen dauernd den unverschämten Versuch, in einer Generation den Sprung vom Bandarbeiter zum Minister schaffen zu wollen. Während die anständigeren besitzenden Klassen sich dazu mindestens drei Generationen gönnen. Seitenlang ergibt sich unser englischer Autor Phantasien vom kleinen Einwanderer, dessen Sohn schon Kleinwarenhändler ist, der Enkel Uni-Absolvent, und am Ende eines entbehrungsreichen Forscherlebens in den Rittterstand erhoben wird (Dass die Beatles das zu Parkinsons Lebzeiten schon in sehr jungen Jahren erlebten, hat er nicht mehr zur Kenntnis genommen).

Rührenderweise hat ein Weggenosse der Nazis, Hans Grimm, genau den gleichen Gedanken in einer ganzen Broschüre verbraten: Hauptsünde der Sozen ist die Übereilung und Atemlosigkeit beim Aufholen-Wollen. Dem hilft Grimm ebenfalls mit einer Drei-Generationen-Regel ab. Nicht ohne ein wenig stärker als der englische Kollege auf die Vorsichtsmaßnahmen bei der Zuchtwahl zu verweisen. Was hilft die schöne Lehre, wenn Generation zwei das Erbgut veruntreut – zum Beispiel an eine Einwanderin aus der Türkei?
Was Engländer und Deutschen entgeht: Marx sebst weist auf die allgemeinen Bildungselemente hin, die Voraussetzung für jede produktive Tätigkeit in jeder Gesellschaft sind. Diese verbreiten sich nicht-genetisch ziemlich gleichmäßig durch die Welt.

Parkinson: Insgesamt ein eher rührender Versuch in der langen Reihe der Marxbeerdigungen Es muss sich um eine spezielle Art von bürgerlichem Voodoo handeln: Die Prognose des unvermeidlichen Untergangs beseitigen durch rituelle Beerdigung. Atheistisches Ostern dann: das eben Begrabene steht immer wieder neu der Behandlung zur Verfügung.

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Die Rezension erschien zuerst im November 2009 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Cyril Northcote Parkinson 1973:
Good-bye, Karl Marx.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 3-499-16808-1.
202 Seiten.
Zitathinweis: Fritz Güde: Good-bye, Karl Marx. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/845. Abgerufen am: 16. 04. 2024 09:24.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. November 2009
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Cyril Northcote Parkinson 1973:
Good-bye, Karl Marx.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 3-499-16808-1.
202 Seiten.