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Körperperspektiven

Buchautor_innen
arranca!
Buchtitel
#43 - Bodycheck und linker Haken
Die arranca! #43 stellt „den“ Körper ins thematische Zentrum und lässt wie immer viele unterschiedliche Positionen zu Wort kommen.

Ende letzten Jahres erschien die nunmehr 43. Ausgabe der arranca!, die Zeitschrift der Berliner InitiativeFelS (Für eine linke Strömung). Der Schwerpunkt der Ausgabe liegt auf der thematischen Entfaltung „des“ Körpers. Die Relevanz dieses Themas zeigt sich bereits daran, dass wir keinem Menschen je als unkörperlichem begegnen können, der Körper immer schon Basis jeder Interaktion ist. Die Frauen*-Fußball-WM, zu deren Beginn sich deutsche Bundesliga-Spielerinnen für den playboy ablichten ließen, demonstriert beispielsweise die mit zunehmender gesellschaftlicher Anerkennung einhergehende Sexualisierung weiblicher* Körper. Dies gilt auch, wenn sich Spieler_innen freien Willens für emanzipatorische Nacktheit entschließen. Der Fokus auf weiblich konnotierte Körper findet sich auch in sieben von insgesamt 16 dem Schwerpunkt gewidmeten Artikeln. bodycheck und linker haken, so der Titel, bietet damit die (Über-)Prüfung der Körper und den linken, aus der Gegner_innenposition zunächst ungesehenen Haken – Verteidigungs- und/oder K.O.-Schläge?

Mein Körper – Mein veganer Tempel

Katharina Rögglas kontroverser Beitrag zum veganen Körpertempel versucht, Analogien von veganem Essver- und Diäthalten herauszuarbeiten. Gleich vorweg, es geht in diesem Beitrag nicht darum, Veganismus an sich mit gesellschaftskonformem Diätessverhalten gleichzusetzen, wohl aber darum, einen riskanten und möglichen Nebeneffekt manch veganer Ernährung herauszuarbeiten. Der im Beitrag hergestellte Bezug eines in eine Essstörung übergegangenen Veganismus und des Genügenwollens eines patriarchal genormten Körperkonzeptes wird mit dem Versuch der Kontrolle über den Körper begründet. Dieser Versuch wird im Artikel selbst ausschließlich in Bezug auf Frauen* hergestellt. Schaut man in die maskulinisierte Straight-Edge-Szene, in der vegane Ernährung eines der Fundamente darstellt, wird nicht klar, warum die angesprochene Vertempelung des Körpers ausschließlich weiblich konnotiert sein soll. Primär weibliche* Körper betreffende Schönheitsnormen und Abtreibungsdebatten scheinen jedoch auch in linken Diskursen nicht ungehindert geführt werden zu können, wie ein weiterer Beitrag des ak linker feminismus aufzeigt.

Eine Essstörung muss bereits als Versuch eines Auswegs aus der Unauflösbarkeit von Widersprüchen gedeutet werden. Damit lautet die eigentlich provokante These des Artikels, dass der Ausweg in der Verlagerung des Ausweges gesucht werde, also in der Legitimierung der Essstörung durch eine ethisch(scheinend)e Fundierung. Im Beitrag Abla Jeis zu Foucault findet sich ein Zwischentextfazit zur Essstörungsproblematik: In einer patriarchal geprägten Gesellschaft sind die Auseinandersetzung und der Bruch mit der eigenen Essstörung offenbar nur als partielles Arrangement mit patriarchalen Normen möglich. Wie schon bei Adorno: Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft.

Remember what´s forbidden!

Neben Essstörungen ist auch das juristische Faktum des Straftatbestandes Abtreibung weiterhin von Relevanz, wie der Beitrag des ak linker feminismus aufzeigt. Noch immer steht die altbekannte, aber nicht weniger aktuelle Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen* in Bezug auf den eigenen Körper in den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen im Raum. Auch neuere reproduktionstechnologische Möglichkeiten hinsichtlich des Produktes Kind müssen, so das Plädoyer der Autor_innen, thematisiert werden. Die Paradoxie der „rechtswidrigen, aber straffreien“ (S. 42) Möglichkeit eines Schwangerschafts¬abbruches müsse ebenso auf der politischen Agenda bleiben wie die Diskussion der freiheitserweiternden medizinischen Möglichkeiten von In-vitro-Fertilisation, Präimplantations- und Pränataldiagnostik et cetera.

Intersex_und_Queere Politiken

Anja Gregor thematisiert die Frage, ob queere - also zweigeschlechtliche Diskurse kritisierende - und Politiken intersexueller Menschen auf begrifflicher wie diversen gesellschaftlichen Ebenen derzeit widersprüchlich erscheinen. Wir erinnern uns: Im Geburtsregister muss neben Vor- und Nachnamen des Neugeborenen, Geburtsort, -datum und -zeit an dritter Stelle das eindeutig bestimmbare Geschlecht als männlich oder weiblich angegeben werden. Ist dies nicht eindeutig bestimmbar, wird den Eltern des somit als intersexuell diagnostizierten Kindes eine geschlechtsbestimmende Operation nahegelegt. Die Crux: Intersexuelle Personen würden in queeren (Kon)Texten als Beweisfiguren zurichtender Konstruktionen von Zweigeschlechtlichkeit, nicht aber als Menschen „mit eigenen Forderungen gesehen“ (S. 15). So lautet der eindringliche Appell an Queers, sich als männlich oder weiblich verortende Intersexuelle als eigenständigen Teil der queer-politischen Forderungen zu begreifen und den Dialog mit (und nicht über) diese zu suchen. Ein Dialog, der laut diesem Beitrag in der queeren Community noch aussteht.

Die im obigen Text geforderte notwendige Präsentation statt der oftmaligen Repräsentation bestimmter, als anders konstruierter Menschen liest sich im Text Erkenntnis in der dritten Person von Chantal-Fleur Sandjon. Sie beschreibt, wie sie sich der noch-immer-kolonialen Zuschreibung Schwarzer Körper durch Andere entzieht. Die Strategie, die permanent wiederholte Herkunftsfrage nicht zu beantworten, stellt eine alltagspraktische Möglichkeit dar, die Reproduktion dieser Zuschreibung zu unterlaufen. Die Autor_in unterstreicht, wie wichtig es ist, in kolonialen Traditionslinien gründende Alltagspraxen aufzuzeigen und zu brechen – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Im Interview zur Problematik soziokulturell normierter Körper-Schönheit (auch als Lookism bekannt und benannt) wird die Verschränkung von Schlanksein und der sozialen Konstruktion gewünschter Jugendlichkeit, als jeweils hinreichende Prämissen für das Urteil der Schönheit, aufgegriffen. Ebenso findet die aus den USA kommende Fat-Acceptance-Bewegung, die die Wahrnehmung nicht-schlanker Menschen in den Fokus rückt, Eingang ins Heft. Weitere Texte widmen sich körperpolitischen Disziplinierungsstrategien, beispielsweise bezüglich des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (wahrscheinlich besser als AD(H)S bekannt), der instrumentellen Sicht auf Körper in „Stillsitzschulen“ (S. 52) sowie selbstbestimmte(re)m Leben mit Behinderung.

Gecheckt

In allen publizierten Texten werden körperpolitische und sehr unterschiedliche Formen der Repression und Zurichtung von Körpern aufgezeigt. Alle Artikel demonstrieren eine oder auch mehrere sich überlappende Diskriminierungslinien, aber auch eine oder mehrere Lösungsstrategien. Vorgestellt werden darin vor allem konkret-praktische Möglichkeiten, aber auch theoretische Abhandlungen des Umgangs mit normierenden Praxen und die Erarbeitung von Brüchen. Klar wird in diesem Schwerpunkt ein weiteres Mal die Konstruktion des Körpers und dass es eben keine nicht in irgendeiner Form konstruierte Wahrnehmung individueller Körper gibt.
Somit ist der arranca! kein K.O.-Schlag gelungen, aber sie zeigt die weiterhin große Relevanz körper- und gesundheitspolitischer Themen und die Notwendigkeit widerständigen Alltags-Handelns auf. Die Zeitschrift ist ein relativ niedrigschwelliges und trotzdem plurales Angebot, das gute Einstiegstexte und in diesen auch Begriffsdefinitionen bietet.

*

arranca!, die Zeitschrift der Berliner Gruppe FelS (Für eine linke Strömung). Das nächste Heft widmet sich mit Don't look back in anger - linke (Gegen-)Geschichte auch der nun 20-jährigen Geschichte von FelS.

arranca! 2010:
#43 - Bodycheck und linker Haken.
4,00 Euro.
Zitathinweis: Katharina Kaps: Körperperspektiven. Erschienen in: Sommerpause. 8/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/c/922. Abgerufen am: 20. 04. 2024 00:39.

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#43 - Bodycheck und linker Haken.
4,00 Euro.