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Von Mythen und Symbolen

Buchautor_innen
Martin Langebach, Michael Sturm (Hg.)
Buchtitel
Erinnerungsorte der extremen Rechten
Ein überfälliger Sammelband wirft eine neue Perspektive auf die extreme Rechte und stellt ihre „Erinnerungsorte“ in den Fokus.

Geschichtspolitik hat als Handlungs- und Politikfeld seit jeher für die extreme Rechte eine zentrale Bedeutung. Sie erfüllt den Zweck der Sinn- und Identitätsstiftung nach „innen“ und wirkt zugleich ungemein mobilisierend nach „außen“. Für die extreme Rechte ist sie sowohl „Hypothek“ als auch „Ressource“ (S. 8) und dient darüber hinaus als Klammer und Brücke, um über ideologische und organisatorische Grenzen hinweg das „nationale Lager“ zu einen. Der von Martin Langebach und Michael Sturm herausgegebene Sammelband nähert sich daher der Frage, welche historischen Mythen, Narrative und Bilder der extremen Rechten als geschichtspolitische Bezugspunkte dienen. Mit der Anknüpfung an das Konzept der „Erinnerungsorte“ reihen sich die Herausgeber in die hohe Anzahl jüngster geschichtspolitischer Publikationen ein und lehnen sich dabei an Überlegungen der Historiker Etienne François und Hagen Schulze an. In ihrem dreibändigen Werk „Erinnerungsorte“ (2001) verstehen diese unter diesen Begriff nicht nur geographische Räume, sondern auch Ereignisse, Personen, Gegenstände und Ideen, die aufgrund ihrer „symbolischen Funktion“ (S. 11) als Erinnerungsorte dienen.

Schicksal – Heldentum – Opfergang

Die insgesamt zwölf Beiträge des Sammelbands folgen einer überwiegend chronologischen Anordnung, deren Thema jeweils ein Erinnerungsort ist. Den Beginn bildet jedoch zunächst ein einführendes und die Beiträge überspannendes Kapitel, in dem der Historiker Michael Sturm den funktionalen Gebrauch von Geschichte durch die extreme Rechte unter die Schlagworte „Schicksal – Heldentum – Opfergang“ (S. 17) fasst. Er erkennt für das Geschichtsbild des gesamten Spektrums der extremen Rechten vier prägende Merkmale. Erstens die Konstruktion eines unhistorischen, mystisch aufgeladenen „Urzustands“ (S. 30) einer ethnisch und kulturell homogen gedachten „Herkunftsgemeinschaft“. Unmittelbar hieran schließt sich, zweitens, der Nationalismus an. Nur in dessen Rahmen sind individuelle und kollektive Existenzen langfristig denkbar. Drittens die immer wiederkehrende Zweiteilung in „Kultur“ und „Zivilisation“ sowie viertens der Kerngedanke einer Verlust- und Leidensgeschichte des „deutschen Volkes“, der unmittelbar mit der Konstruktion eines nationalistischen Heldenmythos verbunden ist.

Zentrale Grundlage für das extrem rechte Geschichtsbild bildet also die glorifizierende Bezugnahme und die Inszenierung einer „germanischen“ Vergangenheit, auf die Karl Bernhard in seinem Beitrag exemplarisch anhand zweier wesentlicher Erinnerungsorte der extremen Rechten eingeht. Sowohl der Sachsenhain in Verden als auch die Externsteine im Teutoburger Wald als vermeintlich germanisches Heiligtum dienten bereits bei den Nationalsozialisten als mystisch aufgeladene Erinnerungsorte und werden unter anderem aus diesem Grund auch heute noch von der extremen Rechten als beliebte Ausflugsziele und als Schauplätze für gemeinschaftsfördernde und identitätsstiftende Rituale wie Sonnenwendfeiern genutzt. Unweit dieser beiden Orte befindet sich mit der Wewelsburg ein weiteres gefragtes Ausflugsziel der extremen Rechten. Ursprünglich als Renaissanceschloss zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichtet, wurde das Gebäude 1934 von der SS gepachtet und im Sinne des nationalsozialistischen Geschichtsverständnisses zu einer Burg umgebaut, die schließlich als „repräsentativer Treffpunkt der höchsten SS-Führer“ dienen und zugleich „Ausgangspunkt für eine eigene SS-Tradition werden sollte“ (S. 80). Eine besondere Bedeutung, wie Dana Schlegelmilch und Jan Raabe herausarbeiten, kommt seit den 1990er Jahren einem Bodenornament des Nordturms der Burg zu: Die „Schwarze Sonne“ wird seitdem innerhalb der extremen Rechten inflationär als Symbol einer „nordisch-germanischen Urkraft“ (S. 88) verwendet.

Einen geistigen Erinnerungsort untersucht hingegen Volker Weiß mit seinem Beitrag zur Konservativen Revolution. Insbesondere für die Neue Rechte stellt heute der ideengeschichtliche Rückgriff auf diese geistige Strömung der Weimarer Republik und der Kult um ihre Protagonisten wie Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck sowie Edgar Julius Jung einen geistigen Bezugsrahmen dar, dessen Anknüpfungspotenzial deshalb so attraktiv ist, da es einzelnen rechten Autoren gelungen ist, die Verknüpfung der Konservativen Revolution mit dem historischen Nationalsozialismus diskursiv zu lösen. Im Zentrum des Beitrags von Harriet Scharnberg steht der „Tag der nationalen Arbeit“, der seit etwa 20 Jahren als symbolischer Erinnerungsort und bedeutender Aufmarsch- und Mobilisierungstermin der extremen Rechten dient. Jedes Jahr im Mai findet darüber hinaus im oberbayrischen Schliersee eine extrem rechte Gedenkveranstaltung statt, bei der die Erinnerung an das Freikorps Oberland und dessen Kämpfe um den Annaberg gepflegt wird. Die bewaffneten Auseinandersetzungen des Jahres 1921 werden dabei – getragen von diversen Spektren der extremen Rechten – zum „Kampf um den deutschen Osten“ stilisiert und der Annaberg so zu einem Erinnerungsort, der diesen Kampf symbolisiert.

Nationalsozialismus, Soldatentum und Weltkrieg als zentrale Bezugspunkte für die extreme Rechte

Die Beiträge des zweiten Teils des Sammelbandes befassen sich mit Erinnerungsorten, die einen expliziten Bezug auf den historischen Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg aufweisen. Karsten Wilke untersucht die Hilfsorganisation auf Gegenseitigkeit (HIAG) der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS als „erinnerungspolitische[n] Akteur“ (S. 160). Auch das „Heldengedenken“ und die Glorifizierung eines „Endkampfes“ dienen der extremen Rechten, wie Christoph Schulze in seinem Beitrag analysiert, bei regelmäßigen Aufmärschen am Waldfriedhof in Halbe als Objekt einer neonazistischen Gedenkpolitik, in der eine ritualisierte Gegenerzählung konstruiert wird, deutsche Täter zu Helden stilisiert werden und ein Abwehrkampf gegen den Bolschewismus beschworen wird. Die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte und deren revisionistische Umdeutung und neonazistische Verklärung stehen im Zentrum des Aufsatzes von Martin Clemens Winter, der aufzeigt, dass das Gedenken an den Luftkrieg zahlreiche Schnittmengen mit der offiziellen bundesrepublikanischen Gedenkpolitik anbietet und bereits vor Kriegsende zur Inszenierung einer deutschen Schicksalsgemeinschaft instrumentalisiert wurde.

In den letzten Jahren sind zunehmend auch alliierte Kriegsgefangenen- und Internierungslager ins Zentrum extrem rechter Mobilisierungen gerückt. Die jährlichen Aufmärsche in Remagen und Bad Nenndorf analysiert Barbara Manthe und stellt dabei ihre unterschiedlichen Spezifika heraus. Während das Rheinwiesenlager in Remagen auf eine lange Tradition regionaler, bürgerlicher Erinnerungspolitik zurückschaut, versuchen Neonazis seit einigen Jahren das ehemalige Internierungslager in Bad Nenndorf als Erinnerungsort neu zu etablieren. Beide Mobilisierungsbemühungen verfolgen dabei den Zweck, mithilfe von „Propagandalügen ohne Rücksicht auf Plausibilität“ (S. 260) nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren. Auch mehr als 25 Jahre nach seinem Tod gilt Rudolf Heß weiterhin als „eine der bedeutendsten Figuren der extremen Rechten“ (S. 265). Maica Vierkant skizziert deshalb zunächst dessen Biographie, bevor sie die zentrale Bedeutung von Rudolf Heß als Integrationsfigur für die extreme Rechte nachzeichnet und die Wirkmächtigkeit des Mythos Rudolf Heß dekonstruiert. Im letzten Beitrag des Sammelbandes wirft Dagmar Lieske die Frage auf, ob auch nationalsozialistische Konzentrationslager der extremen Rechten als Erinnerungsorte für ihre Geschichtsverklärung dienen. Anhand der Gedenkstätte Sachsenhausen zeigt sie exemplarisch auf, dass es durchaus provokative Aktionen, Besuche und sogar Anschläge durch Neonazis auf die Gedenkstätte gegeben hat, dennoch negiert sie ihr Potential als extrem rechter Erinnerungsort, da sie der extremen Rechten keine „Identifikationsmöglichkeit“ biete. Der Ort dient der extremen Rechten vielmehr als Folie zur Konstruktion und Aufrechterhaltung einer Gegenerzählung durch die Zurückweisung von Quellen, wissenschaftlichen Texten und Ausstellungen.

Angesichts der Bedeutung von Geschichtspolitik und der Funktion von „Erinnerungsorten“ für die extreme Rechte, müssen die Analyse ihrer Wirkmächtigkeit sowie die Dekonstruktion ihrer symbolischen Aufladung wichtige Bestandteile antifaschistischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung darstellen. Dies ist in den vergangenen Jahren vermutlich aus Sorge vor einer versehentlichen Reproduktion geschichtsrevisionistischer Parolen leider weitgehend vermieden worden. Um die Stabilität der teilweise mehrere Jahrzehnte überdauernden Netzwerke der extremen Rechten verstehen und erfolgreich bekämpfen zu können, muss jedoch auch an der identitären Sinnstiftung geschichtspolitischer Inszenierungen angesetzt werden. Obwohl die die Auswahl der Kapitel mitunter etwas willkürlich erscheint und einige, für gewisse Spektren der extremen Rechten wichtige Aspekte (Reichsgedanke, Otto v. Bismarck) fehlen, stellt das Buch eine längst überfällige Zusammenstellung bedeutender Erinnerungsorte der extremen Rechten dar. Trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs eignet es sich auch für interessierte Leser*innen, die mit diesem Aspekt des Rechtsextremismus nur am Rande vertraut sind und bietet einen guten Einblick in die Funktionsweise der extremen Rechten als nationales Lager.

Martin Langebach, Michael Sturm (Hg.) 2015:
Erinnerungsorte der extremen Rechten.
Springer Verlag, Wiesbaden.
ISBN: 978-3-658-00130-8.
297 Seiten. 39,99 Euro.
Zitathinweis: Philipp Grehn: Von Mythen und Symbolen. Erschienen in: Antifa anders machen!. 37/ 2015. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1292. Abgerufen am: 28. 03. 2024 13:34.

Zum Buch
Martin Langebach, Michael Sturm (Hg.) 2015:
Erinnerungsorte der extremen Rechten.
Springer Verlag, Wiesbaden.
ISBN: 978-3-658-00130-8.
297 Seiten. 39,99 Euro.