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Das Unternehmen Ich

Ein einfarbiges, schwarzes Cover mit Titel in gelber Schrift im Kontrast dazu auf der oberen Hälfte des Buchcovers.
Buchautor_innen
Ulrich Bröckling
Buchtitel
Das unternehmerische Selbst
Buchuntertitel
Soziologie einer Subjektivierungsform
„Sei aktiv“ lautet das Credo unserer Tage. Warum dieser Imperativ in alle Lebensbereiche dringt und wie er sich dort entfaltet, wird in diesem Standardwerk zu den Auswirkungen des Neoliberalismus anschaulich beschrieben.

Der Begriff Neoliberalismus beschreibt vordergründig, nach welchen Prämissen ökonomische Prozesse verstanden und geführt werden. Charakteristisch für ihn ist, dass Regierungspraxen, die sich an ihm ausrichten, darauf ausgelegt sind, die Freiheit der Märkte schützend zu umrahmen und Konkurrenzfähigkeit nicht zu bremsen. Soziale Sicherungssysteme werden so mit den Forderungen nach jener freien Entwicklung der Märkte abgebaut und im Endeffekt immer mehr Menschen in die Armut getrieben. All dies scheint eingebettet zu sein in die globalen Wettbewerbe und den Zwang des ewigen Wachstums, dem sich – als sei es ein Naturgesetz – keine_r durch Marktträgheit in den Weg stellen dürfe. Und so lautet die Pflicht jeder_s Einzelnen nicht bloß zu konsumieren, sondern vor allem aktiv zu investieren: (Arbeits-)Kraft, Zeit, Geld. Wer dies (vermeintlich) nicht tut, steht einer „gesunden Gemeinschaft“ entgegen und wird sozial geächtet. Und so werden ständig Programme, Trainings und Praktiken gesucht, die dem Menschen verhelfen sollen, sich aktiv und eigenständig am Marktgeschehen zu beteiligen.

In seiner soziologischen Studie „Das unternehmerische Selbst“ zeichnet Ulrich Bröckling solche Programme nach, die jenes marktgerichtete Handeln anleiten und kristallisiert daraus eine Art Verhaltensschule, also wie Menschen sein und handeln sollen. Er untersucht die Figur des Unternehmers, doch nicht bloß im ihm zugedachten Rahmen – dem Unternehmen also – sondern als Leitbild für die ganze Gesellschaft, deren Subjekte sich nach diesem orientieren sollen. Mit seiner Untersuchung kommt er zu dem Schluss, dass das Verständnis einer Existenz für den Markt und die permanente Bedrohung, aus „der sich über Marktmechanismen assoziierenden gesellschaftlichen Ordnung“ (S. 47) herauszufallen, eine umfassende Aktivierung produziert. Doch ist dieser Aktivismus nicht auf ein beständiges Funktionieren in der Art tumber Befehlsempfänger_innen zu reduzieren, vielmehr liegt der zentrale Punkt darin, dass die Menschen dazu angehalten werden, sich immer wieder selbst zum Funktionieren zu bringen. Mit dem Konzept der Gouvernementalität nach Michel Foucault bringt Bröckling die Aktivierung der Aktivierung auf den Punkt: Die Frage des Regierens ist demnach die Frage danach, wie Menschen regiert werden sich selbst zu regieren, eine Führung der Selbstführung also. Doch darf Regierung hier nicht auf die Zugriffsebene des Staates reduziert werden, vielmehr sind damit ebenfalls Programme und Institutionen gefasst, die Subjekte zum Handeln anleiten. Besonders anschaulich wird dies in der Managementliteratur, in denen Menschen geraten wird, sich selbst als Ware und das gesamte Leben als Unternehmen zu imaginieren.

Und so skizziert Bröckling hier mit dem unternehmerischen Selbst ein Kraftfeld als neoliberales Regierungsprogramm. Hierfür versammelt er in seinem Werk zahlreiche theoretische Abhandlungen über das ökonomische Subjekt und kombiniert diese mit einer prägnanten Auswahl an jenen Texten, die insbesondere in der Unternehmenskultur zur Perfektion zu verhelfen suggerieren. Aus diesen vielschichtigen Annäherungen gelingt es ihm, die Konturen des unternehmerischen Selbst zu zeichnen, das eben nicht nur im Unternehmen an der persönlichen Produktivität arbeitet, sondern als Subjekt am und für den Markt ebenso gänzlich und in allen Lebensbereichen an ihm ausgerichtet sein soll, um stets zu wachsen. So wird die Optimierung aller Prozesse und das Dogma der Effizienz handlungsleitend für Subjekte. Die marktökonomische Rationalität und das radikale Ausgreifen der Märkte auf alle Lebensbereiche bilden Bezugspunkte für unternehmerisches Handeln, das in jeder Hinsicht auf Konkurrenz ausgelegt ist. Das sich hier abzeichnende Menschenbild beruht auf dem wirtschaftswissenschaftlich entworfenen Konstrukt des homo oeconomicus, welches menschliches Verhalten stets als ökonomisches markiert. Hinter diesem Menschenbild verbirgt sich sogleich eine Norm, die an einem ökonomischen Verhaltensmodell ausgerichtet ist, und das unternehmerische Selbst stellt Techniken bereit, diese Norm zu erfüllen.

Die Marke „Ich“

Die Grundlage unternehmerischer Tätigkeiten, die Verlagerung der Verantwortung in die Subjekte, zeitigt vielfache Effekte. Anschauliche Beispiele dafür sind Programme wie die Ich-AG und die von Bröckling hier exemplarisch untersuchten Management- und Erfolgsratgeber, die den Rezipierenden Tipps an die Hand geben, sich selbst als Unternehmen zu kreieren, um ihre Potentiale und ihren Schöpfungsgeist möglichst effizient zu entfalten. Doch wird sich, so Bröckling, kein einzelnes Subjekt als Unternehmer_in ihrer_seiner Selbst beschreiben lassen, da es vielmehr um die Weise geht, mit der Menschen angerufen werden und um die Richtung, in die diese sich bewegen sollen. Das unternehmerische Selbst ist „nicht vorfindbar, sondern hervorzubringend“ (S. 47). Und so wird – vor allem vor dem Hintergrund der Unabwägbarkeiten des Marktes, auf den das Handeln ausgerichtet ist – ein stetes Ungenügen empfunden, denn es gibt nichts, was nicht noch zu optimieren wäre. Und ob das eigene Handeln letztlich zum Erfolg führt, kann nicht im Vorhinein bestimmt werden. So ist das Subjekt stets darauf angewiesen, das „richtige Gespür“ zu haben für etwas, was nicht bestimmbar ist. Diese Unsicherheit führt zu permanenter Anspannung und ebenso zu steter Anstrengung, nicht nur die Arbeit an etwas, sondern auch die Arbeit an sich zu intensivieren und zu verbessern: „Die Imagination als Unternehmer wendet die Ohnmachtserfahrung tatsächlicher oder drohender Arbeitslosigkeit in den Aktivismus desjenigen, der sich auf eigene Rechnung auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten sucht.“ (S. 56) Ein Scheitern ist immer eine persönliche Verfehlung, denn Möglichkeiten und Anreize habe es ja genug gegeben. Und so sind die häufig auftretenden Depressionen und sogenannten Burnouts Effekte dieser Spannung, die Leistung und Effizienzstreben von allen erfordert, die Konsequenzen jedoch von den Individuen tragen lässt.

Dieses Angetrieben-Sein schafft eine entsprechende Selbstwahrnehmung der Subjekte. Die Management- und Unternehmensliteratur macht anschaulich, welche Prozesse hier angetrieben werden. Mit Formulierungen, die „Unternehmertugenden“ (S. 62) proklamieren und dazu verhelfen das persönliche Humankapital zu fördern, indem praktische Übungen angeleitet werden, machen deutlich, wie sehr sich das Subjekt selbst wie ein Unternehmen fühlen und strukturieren und zum „Lebensunternehmer“ (S. 65) avancieren soll. Es wird angehalten, sich zu entwerfen wie ein eigenes Label und seine Alleinstellungsmerkmale herauszustellen und den Käufer_innen seine Arbeitskraft oder Produkte anzubieten. Es gilt nicht mehr, einer Norm zu entsprechen, die einzige Norm ist die, besonders zu sein.

Hintergründe

Eine Entwicklungslinie, die – neben der Ökonomisierung der Gesellschaft und den Ab- und Umbauphasen des Sozialstaates mit einhergehenden Aktivierungsimperativen – zum Aufstieg des unternehmerischen Selbst führte, ist, so zitiert Bröckling den Operaisten Sergio Bologna, der Aufstieg der „Arbeits- und Existenzformen“ (S. 57) der Selbstständigen, die ihre Geschäfte selbst organisieren müssen und deren Arbeits- und Privatsphäre zunehmend miteinander verschwimmen, wenn die Sphäre der Arbeit sich nicht mehr auf spezielle Räume und Zeiten beschränkt. Das existenzielle Risiko hingegen ist für Selbstständige hoch und bewirkt ebenfalls Mobilisierung und häufig Überarbeitung. Die „Versöhnung von Leben und Arbeiten“ (S. 58) – zunächst als gegenkulturelle Forderung der 68er-Bewegung als Alternative zum Disziplinarzwang und Entfremdungsapparat der Fabriken hervorgebracht – entwickelte schnell den Charakter eines „Labors unternehmerischer Verhaltensorientierung“ (ebd.) mit entsprechend individualisierender Tendenz. Was sich entwickelte, ist eine Verquickung angestrebter Selbstverwirklichung mit ökonomischem Erfolg, beides geht zunehmend ineinander. Hier kreuzen sich Selbstverantwortung, Selbstverwirklichung und die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. Entsprechend sollen nicht nur Wohlstand und Leistung, sondern auch Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl stets optimiert werden – durch die Aktivierung der „Selbststeuerungspotentiale“ (S. 61) und der Selbstsorge.

Die dargestellten Konturen und (ökonomischen) Rationalitäten des unternehmerischen Selbst vertieft Bröckling im Anschluss mit der Darlegung ausgewählter „Schlüsseltechnologien“ (S. 49) und jener Qualifikationen, die das Subjekt für erfolgsversprechendes Unternehmertum sich anzueignen aufgefordert ist. Die stets ersuchte Optimierung wird, so wollen es entsprechende Strategien und Programme unter anderem durch Innovation, Kreativität, Findigkeit, Koordination und Self-Empowerment in Aussicht gestellt. Eine Garantie dafür kann es jedoch und darf es vor allem nicht geben, weshalb sich auf dem Erreichten nicht ausgeruht wird, auch mangels scheinbarer Alternativlosigkeit. Und so befinden sich die Subjekte stets auf der Suche nach der besonderen, einzigartigen Produktionsmöglichkeit und Wegen, diese möglichst gewinnbringend auf dem Markt zu platzieren. Besondere Stellung nimmt hier der Kreativitätsimperativ ein, der „Glaube an die schöpferischen Potentiale des Individuums ist die Zivilreligion des unternehmerischen Selbst“ (S. 152). Kreativität ist eine Fähigkeit, die alle besitzen, weshalb diese grundsätzlich auch alle anwenden. Durchsetzen kann sich jedoch nur jene_r, die_der Neues schafft, das sich von Altem und vor allem von anderen unterscheidet – denn neue Ideen braucht der Markt. Entsprechend ist ungewiss, ob Ideen sich durchsetzen, denn das Umfeld entscheidet. Kreativität ist zunächst eine spekulative Investition, weshalb höchste Aufmerksamkeit, Risikobereitschaft und Dynamik gefordert sind. Und so werden stets Trainingsmethoden entwickelt, den Fluss an Ideen fließen und immer neue Läufe sich bilden zu lassen.

Reflexionen

Bröckling äußert dezidiert, dass seine Studie nicht untersucht, wie Einzelne tatsächlich mit den Anforderungen des unternehmerischen Selbst umgehen. Ihm gehe es um ein „Regime der Subjektivierung“ (S. 10), nicht darum, wie heterogen die Umgangsweisen damit sind. Er untersuche vielmehr die Programme, die das Handeln anleiten sollen, doch zu welchem Handeln sie führen, stellt nicht den Fokus seiner Arbeit dar. Doch schließt seine Perspektive eine Analyse der Umgangsformen nicht aus und liefert zudem reichhaltiges Werkzeug. Für die Linke wäre eine solche Reflexion sicher sinnvoll. Das formulierte Bild der Leitfigur des unternehmerischen Selbst hat, so ließe sich sicherlich feststellen, auch vor linker Politik keinen Halt gemacht, insbesondere wenn man bedenkt, dass Formen wie Selbstorganisation und Autonomie einen hohen Stellenwert in der Linken besitzen. Und mögen Parallelen auch nicht auf Profite und den Markt ausgelegt sein, hier stellt sich dennoch, vor allem wegen der chronischen Überbelastungen und Unterbesetzungen und vor dem Hintergrund steter Fluktuationen die Frage, wie Arbeitsprozesse in der Politarbeit optimal und effizienter gestaltet werden können. Und vielleicht wäre es an der Zeit, die Leistungsfrage innerhalb der Linken intensiver zu diskutieren, zum Beispiel mit der Frage, ob sich ein Leistungsimperativ auch hier breit macht, ob Leistung notwendiges Mittel für die Kämpfe ist und wie dies zu bewerten wäre.

Ulrich Bröckling 2007:
Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform.
Suhrkamp, Berlin.
ISBN: 978-3-518-29432-1.
327 Seiten. 16,00 Euro.
Zitathinweis: Andrea Strübe: Das Unternehmen Ich. Erschienen in: Gesellschaft im Neoliberalismus. 29/ 2013. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1144. Abgerufen am: 24. 04. 2024 01:56.

Zur Rezension
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Ulrich Bröckling 2007:
Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform.
Suhrkamp, Berlin.
ISBN: 978-3-518-29432-1.
327 Seiten. 16,00 Euro.