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Eine Biografie als Eigentor

Buchautor_innen
Michael Fisch
Buchtitel
Werke und Freuden
Buchuntertitel
Michel Foucault – eine Biografie
Michael Fisch schießt sich mit dieser Biografie leider ein Eigentor und trägt nichts zu einer vertieften Kenntnis von Foucaults Leben und Denken bei.

Über Michel Foucault wird viel geschrieben: mal Spannendes, oft Langweiliges – weil Immergleiches. Manchmal kann es auch peinlich berühren. So wenn man etwa in Paul Veynes „Der Philosoph als Samurai“ liest, dass der grandiose Foucault „hoch über der Weltgeschichte“ (Veyne 2009, S. 155) geschwebt sei.

Aber möglicherweise zählt die neue Foucault-Biografie von Michael Fisch mal wieder zu den eher interessanteren Veröffentlichungen? Leider: Nein!

Es ist vielmehr erstaunlich, wie es dem Autor auf immerhin 576 Seiten nicht gelingt, irgendetwas wirklich Eigenständiges und Innovatives – weder zu Foucaults Leben, noch zu dessen Denken – mitzuteilen. Noch schlimmer: wie viele banale Fehler Fisch unterlaufen. Bei manchen fragt man sich, ob der Autor überhaupt mit der Materie vertraut ist, die er behandelt. Wenn zum Beispiel Foucault einmal in einem Interview John Locke und den utopischen Sozialismus erwähnt, macht Fisch daraus den „utopische[n] Sozialismus von John Locke“ (S. 194).

Das korrekte Zitieren ist auch keine Stärke von Fisch. So wird beispielsweise einmal Foucault wie folgt (falsch) wiedergegeben: „Ich kenne Heidegger genügend, ich kenne Sein und Zeit praktisch nicht“ (S. 62). Sicher können einem einmal, zumal auf über 500 Seiten, solche Fehler passieren, aber eine solche Stelle ist kein Ausrutscher, sondern zeigt exemplarisch die „handwerkliche Lieblosigkeit“ mit der dieses Buch verfasst wurde. So wird dann Ludwig Binswanger auch mal zu „Friedrich“ Binswanger (S. 82) oder das Kapitel mit der Überschrift „Tunis und Vincennes“ (S.167-171) behandelt zwar Foucaults Aufenthalt in Tunis – auf Vincennes wird im betreffenden Kapitel aber gar nicht eingegangen.

Manchmal scheint sich der Autor auch selbst nicht so ganz sicher zu sein, was er sagen möchte. So heißt es einmal: „Es gehört beinahe schon zum philosophischen Kanon dieser Zeit [in Frankreich Anfang der 1950er Jahre, Anm. d. Verf.], sich mit Husserl, Heidegger und Hegel zu beschäftigen.“ (S. 59) Wenige Seiten später erfahren wir aber: „Als Foucault 1951 mit seiner Heidegger-Lektüre beginnt, ist dieser deutsche Denker, der unter Nationalsozialismus-Verdacht steht, in Frankreich absolut tabu.“ (S. 62)

Fisch kann auch überraschen: „Sartre hat nie eine Ethik geschrieben, Foucault dagegen hat es.“ (S. 47) Nur wo? Laut Fisch in Foucaults letzten Büchern, „Der Gebrauch der Lüste“ und „Die Sorge um sich“. Ich kann eine solche dort nirgendwo erkennen und auch die Äußerungen Foucaults in seinen letzten Jahren sprechen meines Erachtens recht deutlich gegen diese Interpretation.

Fisch wiederum, immer auch bemüht Foucault zu verteidigen, wobei ihn die exakte Chronologie der Texte in diesen Zusammenhängen meist nicht sonderlich interessiert, erklärt: „Immer wieder heißt es, Foucault leugne die Geschichte und damit jede Möglichkeit einer Veränderung. Dieser Vorwurf muss absurd erscheinen angesichts seiner Überlegungen zur Heterotopie und Utopie.“ (S. 195) Widerlegt aber dieser Hinweis zum Beispiel den Vorwurf von Sartre gegen „Die Ordnung der Dinge“ – auf den Fisch hier anspielt (Sartre hatte Foucault vorgeworfen, historische Veränderungen nicht denken zu können, sondern lediglich in sich geschlossene Geschichtsepochen zu beschreiben)? „Absurd“ ist es vielmehr, wenn man solch einen Vorwurf nicht mit Rückgriff auf die zur Debatte stehenden Texte diskutiert und davon ausgehend widerlegt. Aber die Sache mit Sartre findet bei Fisch auch eine interessante Ausgestaltung, denn ihm zufolge, wurde dessen berühmter polemischer Ausspruch, wonach Foucault das „letzte Bollwerk der Bourgeoisie“ sei, „ausgerechnet“ von „Althusser“ – Foucaults lebenslangem Freund und zeitweise Lehrer – geäußert (S. 180)!

Aufgrund solcher Fehler bekommt das Buch einen teilweise fast tragischen Charakter. Kein Vergleich jedenfalls mit der Foucault-Biographie Didier Eribons (Michel Foucault, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1991) die in so ziemlich jeder Hinsicht dem hier besprochenen Werk vorzuziehen ist. Nicht zuletzt, weil es vernünftig lektoriert wurde.

Fazit:

„Der Autor [Foucault] spricht beispielsweise vom ‚abendländischen Denken’, von ‚unserer Zeit’, von der ‚Moderne’ und so weiter. Er stellt fest, dass wir ‚schon nicht mehr denken’. Seine Äußerungen werden dadurch allgemein und attraktiv. Ein jeder Leser kann sich also angesprochen fühlen.“ (S.180)

Wer also „schon nicht mehr denken“ will, darf sich „angesprochen fühlen“!?! Der arme Foucault.

So brutal es klingt: Das einzige was an diesem Buch taugt, ist die Bibliografie.

Zusätzlich verwendete Literatur

Paul Veyne 2009: Der Philosoph als Samurai. Stuttgart: Reclam Verlag

Michael Fisch 2011:
Werke und Freuden. Michel Foucault – eine Biografie.
Transcript Verlag, Bielefeld.
ISBN: 978-3-8376-1900-3.
576 Seiten. 39,80 Euro.
Zitathinweis: Philippe Kellermann: Eine Biografie als Eigentor. Erschienen in: Rechter Terror und "Extremismus". 15/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/c/989. Abgerufen am: 24. 04. 2024 08:48.

Zum Buch
Michael Fisch 2011:
Werke und Freuden. Michel Foucault – eine Biografie.
Transcript Verlag, Bielefeld.
ISBN: 978-3-8376-1900-3.
576 Seiten. 39,80 Euro.