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Es sieht düster aus

Das Cover ist in schwarz gehalten. Darauf drei Rechtecke in dünnen weißen linien. Links oben steht "Alex Gruber, Philipp Lenhard (Hg.). Rechts oben in einem der Rechtecke steht "Gegenaufklärung", weiter unten im selben Rechteck "Der Postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft". Das untere 
Rechteck, das quer ausgerichtet ist enthält eine Grafik. Darauf in der Mitte
das Bild beherrschend, eine in schwar-weiß gezeichnete sitzende Person, die in denkerischer Pose die Ellbogen auf die Knie stützt. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, da ein von rechts in das Bild braun gezeichneter Arm dem Denker etwas, das eine Torte gewesen sein könnte in das Gesicht drückt. Unter die
sem Bild steht der Titel des Verlags "ça-ira".
Buchautor_innen
Alex Gruber / Philipp Lenhard (Hg.)
Buchtitel
Gegenaufklärung
Buchuntertitel
Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft
Rechte, Linke, Islamisten – der Zivilisation kann sich heute niemand mehr sicher sein. Da stimmt es wenig hoffnungsvoll, dass auch die Postmoderne kaum anderes tut, als die Barbarei voranzutreiben. Kritische Geister klären über das hereinbrechende Unheil auf.

Kritik an der Postmoderne ist nichts Neues. Erfrischend daher, wenn eine Publikation nicht nur die alter Leier von Zynismus, Beliebigkeit und Lethargie wiederholt, sondern noch eins drauflegt. Nichts anderes als „das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie“ sei die Postmoderne, wie der Klappentext von "Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft" feststellt, und zwar – wer hätte es gedacht? – unter Zuhilfenahme eines Adorno-Zitats. Im Inneren werden in elf, zum Teil umfangreichen Beiträgen die verheerenden Umtriebe der Postmoderne dargelegt.

Postmoderne und deutsche Ideologie

Dabei lernen wir zunächst, was zu einem weiteren Spannungsmoment beiträgt: Die postmoderne „Gegenaufklärung“ sei eine aktuelle Form der „deutschen Ideologie“, welche, im Sinne „sogenannter antideutscher Autoren“, „nicht mehr notwendig die Theorien von Denkern, die in Deutschland leben und wirken“ bezeichnet,

„sondern einen bestimmten Ideologietypus, dessen Herkunft zwar in der deutschen Philosophie- und Geistesgeschichte zu verorten ist, der aber als gleichermaßen fetischistisch wie selbstbewußt vollzogene Reproduktion der globalen Selbstverwertung des Werts, die mit permanenter Verelendung, Zerstörung und Vernichtung in eins fällt, gleichwohl verallgemeinerbar ist“. (S. 7)

Es stimmt zuversichtlich zu wissen, dass „antideutsch“ demnach als universal-ideologiekritische Kategorie anwendbar ist und sich kein Barbar mehr sicher fühlen kann, ob in Freiburg, Wien oder Papeete – wobei Paris, Beirut und Jakarta vielleicht relevanter sind, denn schließlich findet die deutsche Ideologie „ihren zeitgemäßen Ausdruck (…) in Form des radikalen Islam und seiner postmodernen und poststrukturalistischen Apologeten im Westen“. (ebd.)

Dass in dem vorliegenden Band zum Zwecke der Demonstration postmoderndeutschideologischer Abscheulichkeiten die geistige Elite antideutscher Deutschsprachigkeit versammelt ist, daran lassen zumindest manche der Beiträge keinen Zweifel. So macht Tjark Kunstreich zu Beginn seines Aufsatzes zu Lacan unmissverständlich klar:

„Einer Kritik, die sich an dem stört, was sie für unleserlich und eitel hält, ist nicht nur zutiefst zu mißtrauen, weil sie die Tatsache, daß die Wahrheit einem nicht zufliegt, sondern kritisch begriffen sein will, im Kokettieren mit der Dummheit leugnet und weil aus dem Affekt gegen die Eitelkeit das Wissen über die Häßlichkeit der eigenen Gedanken spricht.“ (S. 29)

Elf unleserliche Seiten später sind wir der Wahrheit zwar keinen Deut nähergekommen, aber die Geste imponiert trotzdem.

Poststrukturalismus und Kulturrelativismus

Was der kritischen Leidenschaft des Buches eventuell gut getan hätte, wäre wenigstens der Versuch einer Bestimmung dessen gewesen, was hier als „Postmoderne“ des nationalsozialistischen Ideologiegehalts überführt werden soll. Mit den Begriffen „Strukturalismus“, „Poststrukturalismus“ und „Postmoderne“ wird nämlich eher willkürlich umgegangen und sie scheinen im Großen und Ganzen als diffuse Synonyme zu fungieren – allerdings mögen im Kontext der Kritik deutscher Ideologie begriffliche Differenzierungen unnötige Zeitverschwendung sein: Falsch ist falsch und falscher wird’s nicht.

Einer Bestimmung zumindest des „Poststrukturalismus“ am nächsten kommt Gerhard Scheit, in dem er ihn – welch ein Zufall – unter Zuhilfenahme eines Adorno-Zitats als Namen für ein „Nichts“ bezeichnet. (S. 42) Dass Scheit sich im Rest seines Beitrags beinahe ausschließlich dem „Strukturalismus“ widmet, ist womöglich eine besonders innovative Applikation der in Österreich gerne bemühten Weisheit „Von Nichts kommt Nichts“.

Es mit den Begrifflichkeiten nicht so genau zu nehmen, ist wohl auch der Grund, warum letztlich keinen der im Allgemeinen als „postmodern“ betrachteten Denker und Denkerinnen in Gegenaufklärung so viel Aufmerksamkeit zukommt wie etwa Carl Schmitt oder Martin Heidegger; was jedoch insofern konsequent ist, als dass diese der Geistesverwandtschaft mit der Postmoderne überführten Herren mit tatsächlichen Postmodernen in der Metakategorie „deutsche Ideologie“ zusammenfallen, um die es letztlich geht.

Offen gestanden trägt das Buch manche Züge, die dem intellektuellen Pomp nicht ganz gerecht werden. So stoßen wir nicht nur auf die platteste aller möglichen Foucault-Kritiken („wenn Macht überall ist, und das Individuum nur ein Produkt der Macht, dann gibt es keine Möglichkeit des Widerstandes“, S. 103), sondern auch auf wiederholte Karikierungen postmodernen Denkens, besonders in der Form eines kruden Kulturrelativismus. Es steht außer Zweifel, dass heute im Namen der Postmoderne und des Poststrukturalismus viel Schwachsinn verbreitet wird, aber wer so tut, als wäre die Ersetzung des Begriffs female genitale mutilation durch den Begriff female genitale cutting die Quintessenz postmoderner/poststrukturalistischer Theorienbildung, macht es sich dann doch etwas einfach. (S. 81)

Hinzugefügt werden sollte an dieser Stelle, dass das eben erwähnte Beispiel dem mit Abstand lesenswertesten Text des Bandes entstammt, einer spannenden Auseinandersetzung mit Jean Améry und seinem Verhältnis zur französischen Philosophie. Birte Heweras Aufsatz hebt sich wohltuend von den meisten anderen Beiträgen ab, die einander primär in Polemik, Großmäuligkeit und Kritische-Theorie-Referenzen zu überbieten versuchen – wobei angesichts der Stilnormen der sogenannten Antideutschen nicht sicher ist, ob die Autorin dies als Kompliment auffassen wird.

Hewera verweist im Übrigen auch auf etwas, das den hier versammelten Autoren plus Autorin erwartungsgemäß als gefundenes Fressen dient: Foucaults verquere Einschätzungen der iranischen Revolution. Florian Ruttner wendet tatsächlich vierzehn Seiten dafür auf, in allen Details das breitzutreten, was alle wissen: Foucault hatte unrecht. Die Behauptung, dass Foucault „für die Archaisierung der Gesellschaft (…) agitierte“, wird dadurch trotzdem nicht richtiger. (S. 118)

Aufklärung und Gegenaufklärung

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Foucaults wahrscheinlich wichtigster Text zur Aufklärung in 300 Seiten Gegenaufklärung noch nicht einmal einer Erwähnung wert ist. In „Was ist Aufklärung?“ – einem Text, der auch in deutscher Übersetzung zugänglich ist (Kurzfassung Foucault 1984; Langfassung Foucault 1990) – setzt sich Foucault mit Kants gleichnamigem Artikel aus der Berlinischen Monatsschrift vom Dezember 1784 auseinander. Foucaults Schlusswort (hier aus der mir vorliegenden französischen Fassung übersetzt) lautet wie folgt:

„Ich weiß nicht, ob heute betont werden muss, dass die kritische Intervention immer noch den Glauben an die Aufklärung impliziert; ich denke, dass dies eine ständige Auseinandersetzung mit unseren Grenzen notwendig macht, das heißt, ein geduldiges Bemühen, in dem die Ungeduld der Freiheit Gestalt annehmen kann.“ (Foucault 1993, S. 578)

Mit anderen Worten: Die Versprechen der Aufklärung sind noch nicht eingelöst und es bedarf kritischer Arbeit, um dies nachzuholen. Liegt das nicht erstaunlich nahe an Thesen, die auch in Gegenaufklärung vertreten werden? Na ja, wahrscheinlich nicht. Aber es wäre schön gewesen, hätte sich jemand inmitten all der rhetorischen Gipfelstürmerei dazu aufraffen können, uns zu erklären warum.

Wobei: Es ist natürlich verständlich, wenn sich die Gegenaufklärung-Autoren lieber auf leichte Textbeute stürzen. Zu dumm, dass ihnen dabei ein paar besondere Happen entgangen sind. So sprach Félix Guattari in „Wunsch und Revolution“ (deutsche Ausgabe 1978) davon, dass „die Palästinenser, die zusammen mit deutschen und japanischen Genossen Flugzeuge entführen“ sich auf „die Suche nach der Konstruktion einer internationalen Kriegsmaschine machen“ (Guattari 1978: S. 130). Besser ließen sich für Gruber und Co. die uns drohenden Gefahren kaum illustrieren. Doch ist davon auszugehen, dass Deleuze und Guattari nicht zu ihrer Literaturliste zählen – mangelnde Ehre, aber gleichzeitig Schwein gehabt.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ein Studium von Gegenaufklärung ist allen wärmstens zu empfehlen, besonders jenen, die biederer wissenschaftlicher Lektüre müde sind. Es hat immer etwas Faszinierendes, wenn Menschen ungeniert und im Brustton der Überzeugung Thesen zum Besten geben, die im Allgemeinen als abstrus gelten – ob es sich nun um die Zeugen Jehovas, das 9/11 Truth Movement oder die crème de la crème deutschsprachiger Kritikfähigkeit handelt.

Zu den besonderen Leckerbissen des vorliegenden Bandes zählen:

- der Verweis auf den „Antisemitismus“ von Judith Butler, der noch einmal resolut unterstreicht, dass Juden und Jüdinnen genauso antisemitisch sein können wie Deutsche antideutsch (S. 190);

- die Betonung der „nazistischen Neigungen“ Alain Badious, die eine ganz neue Qualität der Maoismuskritik andeutet (S. 220);

- die Präsentation der „Sekte“ des „postmodernen Antirassismus“, der alleine aufgrund des ihr unbestreitbar zugrundeliegenden Insiderwissens Beachtung geschenkt werden muss (S. 196);

- die Demaskierung der „todessehnsüchtigen“ Ankläger des „Konsumterrors“, die das wahre Gesicht asketischer Allüren offenbart (S. 124);

- die Feststellung, dass Foucault „Kritik (…) Inquisition“ ist, was uns an das Glück erinnert, dass sogenannte Antideutsche nie die beleidigte Leberwurst spielen (S. 113);

- und schließlich die messerscharfe Observation, dass Michel Foucault unter den Feinden Elfriede Jelineks, wenn sie ihn nur lesen würden und verstehen könnten, „so beliebt wie Jörg Haider wäre“ – was zwar einerseits verwirrend ist, da ich Jelinek mag, Foucault gelesen habe, auch ihn mag, Haider aber immer scheiße fand, andererseits jedoch die durchaus plausible Möglichkeit eines fundamentalen Nicht-Verstehens von Foucault nahelegt (S. 58).

Antirassismus und Islam

Schluss mit lustig ist allerdings in Beiträgen wie Philipp Lenhards „Negativer Universalismus“. Wo man sich über Hannah Arendts Befürwortung des „Buhlens“ um „Frieden mit den Arabern“ mokiert (S. 204), Sans-Papiers galant zugesteht, „zweifellos oft genug in einer scheußlichen Lage“ zu sein (S. 206, Hervorhebung von mir) und „Antirassismus“ mit „Antizionismus“ nonchalant auf eine Stufe stellt (S. 210), wird Dreistigkeit zu schlichter Frechheit.

Was den „Antirassismus“ betrifft, so erklärt Lenhard seine Anwendung des Begriffs in einer Fußnote:

„Wenn im folgenden schlicht von ‚Antirassismus’ die Rede ist, so ist damit die derzeit hegemoniale Variante des Antirassismus gemeint, nicht der Kampf gegen reale rassistische Unterdrückung, wie er beispielsweise von der US-Bürgerrechtsbewegung vor dem Entstehen einer afroamerikanisch-islamischen Bewegung mit stark antisemitischen und rassistischen Tendenzen geführt wurde.“ (S. 217)

Dies als Erklärung von jemandem, der seine Leser und Leserinnen schon mal dazu auffordert, sich die „Irrenlogik“ der von ihm Kritisierten „auf der Zunge zergehen zu lassen“. (S. 208) Also, wie war das jetzt? Es gibt keine reale rassistische Unterdrückung von, zum Beispiel, Sans-Papiers? Und in den USA endete die reale rassistische Unterdrückung, weil sich eine afroamerikanisch-islamische Bewegung bildete? Oder passierte das zufällig zur gleichen Zeit? Oder die afroamerikanisch-islamische Bewegung machte die rassistische Unterdrückung plötzlich irreal? Und wie passt das überhaupt alles zusammen, wenn die US-Bürgerrechtsbewegung ihren stärksten Ausdruck in den 1960er Jahren fand, während die Nation of Islam immerhin schon 1930 gegründet wurde?

Lenhard muss jedoch zugute gehalten werden, dass er in einem weiteren Beitrag (mit dem bombastischen Titel „Sein zum Tode“) in allerletzter Minute (der Beitrag setzt den Schlusspunkt des Buches) die behauptete Aktualität der deutschen Ideologie im Islam anhand einer Exegese des Werks von Sayyid Qutb wenigstens noch deutlich zu machen versucht. Ansonsten gibt das Buch diesbezüglich außer der Freude über Foucaults Kommentare zum Iran und den vermeintlichen Hisbollah-und-Hamas-Sympathien vermeintlicher Postmoderner nicht viel her. Allerdings können wir wohl beruhigt davon ausgehen, dass diese Lücken bald gefüllt werden, denn der nächste Band von ça ira kommt bestimmt.

Zusätzlich verwendete Literatur

Foucault, Michel 1994: Qu’est-ce que les Lumières? In: Dits et Ecrits IV (1980-1988). Gallimard, Paris.

Foucault, Michel 1984: „Was ist Aufklärung?“, taz vom 2. Juli 1984.

Foucault, Michel 1990: Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung. Campus Verlag, Frankfurt a.M.

Guattari, Félix 1978: Wunsch und Revolution. Das Wunderhorn, Heidelberg.

Alex Gruber / Philipp Lenhard (Hg.) 2011:
Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft.
ça ira, Freiburg.
ISBN: 978-3-924627-101-5.
302 Seiten. 18,00 Euro.
Zitathinweis: Gabriel Kuhn: Es sieht düster aus. Erschienen in: Überschneidungen von Unterdrückungen. 10/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/c/944. Abgerufen am: 29. 03. 2024 01:08.

Zum Buch
Alex Gruber / Philipp Lenhard (Hg.) 2011:
Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft.
ça ira, Freiburg.
ISBN: 978-3-924627-101-5.
302 Seiten. 18,00 Euro.