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Herbert Wehner

Buchautor_innen
Christoph Meyer
Buchtitel
Herbert Wehner
Buchuntertitel
Biographie
Wehners Jahrhundert war das kurze zwanzigste, das mit dem Ersten Weltkrieg begann und mit der Zerschlagung des Staatssozialismus endete.

Mit Bebel ist in der heutigen SPD nicht mehr viel Staat zu machen: Er wollte wirklich etwas, das mit Recht den Namen Sozialismus trüge. Selbst Willy Brandt ist ausgebleicht: Die ihm zugeschriebenen Visionen sind nicht mehr en vogue. Da trifft es sich gut, dass sich dieses Jahr Wehners Geburtstag zum hundertsten Mal jährt.

Wehner - der zähe Karrenknecht, bärbeißige Anführer, Weichensteller zur Westorientierung. So jemand ist den lahmen Genossen heute nötig als Weggefährte und Vorbild. Christoph Meyer, Leiter des Herbert-Wehner-Bildungswerks in Dresden seit 1998, hat sich der Mühe unterzogen, der heutigen SPD ein realitätstüchtiges Leitbild vor Augen zu stellen.

Das Werk folgt, wenn auch im nüchternsten Ton, dem Aufbauschema der alten erbaulichen Legenden. Erst in schweres Irren gefallen, der Held, - das war die kommunistische Epoche - dann den rechten Weg gefunden und alles wieder gut gemacht. „Insgesamt kann seine zweite Lebenshälfte als tätige Wiedergutmachung für die Irrtümer der ersten Lebenshälfte angesehen werden. In ihrem Ausmaß ist diese Wiedergutmachung beispiellos” (S. 493). Diesem Schema folgt die Darstellung mit ungeheurem Aufwand an Belegstellen, Auskünften noch Lebender, vor allem der Stieftochter und späteren Ehefrau Wehners, Greta.

So detailliert die Fakten aus Wehners Leben dargeboten werden, so schematisch bleibt der geschichtliche Hintergrund der Epoche. Etwa bei der Darstellung der Volksfrontversuche 1923 in Thüringen und Sachsen. Es kamen unerbittliche Befehle aus Moskau. Sie zwangen dazu.

Dass gerade in dieser Zeit weder im Kreml noch im Exekutiv-Komitee der Internationalen wenig Klarheit über die einzuschlagende Linie herrschte, scheint undenkbar. Man kennt sie doch, die Kommunisten, mit ihren Kommandozentralen! Auch Karl Korsch, der damals in die thüringische Regierung eintreten sollte, findet bei Christoph Meyer nicht statt. Dafür - richtig wiedergegebene - Fraktionskämpfe in der damaligen deutschen KPD. Nur, wie konnte es die geben, wenn die Moskowiter doch alles von oben regelten?

So wird der tiefe Fall geschildert. Wie aber steht es mit dem Aufstieg als Sozialdemokrat nach 1945? Wehner wird hier gesehen als derjenige, der die SPD vor der Gefahr von links abschottete - die ganze Zeit, andererseits aber die deutsche Frage gegen Adenauer offen hielt, und insofern durchaus bereit war, mit den Regierungen der Ostblockländer und der DDR zu verhandeln, wenn es nur nicht um politische Ausrichtung ging, sondern um verhandelbare Einzelheiten.

Ungeheuer deutlich wird gegen den Willen Christoph Meyers die geradezu brutale Fixierung auf Staat und Staatsgewalt. Was der Verfasser vorsichtig mit Sorge um die Nation usw. umschreibt, war nichts als der Wille zur Verfügung über die staatlichen Machtmittel. „Opposition ist Mist” - die Maxime eines Müntefering ist unmittelbar geerbt vom großen Vorläufer, Vor-Macher Wehner.

Dass dazu Abschottung nach links gehört, unbedingtes Dämpfen und Stoppen jeder parteienabhängigen Massenbewegung, arbeitet der Autor scharf heraus. Da findet er zaghaft ein paar kritische Worte zum Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem SDS 1961 und der Unterstützung des Ministerpräsidentenerlasses 1972 (Berufsverbote) - hat aber gleich eine Entschuldigung zur Hand. Man musste ja so aufpassen wegen potentieller Unterwanderung durch die DDR. (Es scheint auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der VVN gegeben zu haben in den fünfziger Jahren: Auch der - nach Meinung des Fachmanns und Wehners - dringend nötig, weil die DDR da bloß die Opfer der Nazizeit vorschickte, um anderes zu erreichen).

Das Bleibende Wehners für das Missgeschick der Bundesrepublik. Die unabdingbare dauerhafte Westbindung an NATO; EU usw. kommt in dem Buch stark heraus: als unausweichlich. Ohne Alternativen und Schattenseiten zu bedenken. Etwa nach dem KPD-Verbot 1956. Wehner erwägt zunächst, in DDR und BRD eine Amnestie vorzuschlagen. In der BRD standen nämlich hunderte von Nachfolgeverfahren an, weil das Parteienprivileg nur aufschiebende Wirkung für die Strafverfolgung „politischer Verbrechen” bot, nach Wegfall des Privilegs hätte jeder Ortskassierer wegen bloßer „Mitgliedschaft” belangt werden können. Innenminister Gerhard Schröder wollte das leidenschaftlich durchziehen; die vernünftigeren Staatsanwälte und Richter hoben die Hände. Sie hätten jahrelang nichts anderes mehr verhandeln können.

Amnestie mit der Aufforderung an die DDR, ein Gleiches zu tun - mit Inhaftierten vom 17. Juni 1953 zum Beispiel: Was wäre sinnvoller gewesen. Adenauer und Innenminister Schröder lehnten schroff ab: Man befürchte eine Entmutigung der Polizei bei der „Bekämpfung kommunistischer Umtriebe. Der Kanzler meinte, ein solches Gesetz könne im Ausland als Verrat an der Freiheit angesehen werden” (S. 198). Wehner und seine Partei fügten sich. Das Ansehen beim Westen war wichtiger.

Kaum spürbar macht der Verfasser die Außenwirkung seines Helden. Tatsächlich waren Wehner und Franz Josef Strauß die einzigen, zu deren Reden die Leute parteienabhängig sich zum Vergnügen drängelten. Das Aggressive, Polternde in Wehners Diktion versprach wirklichen Kampf, ein Losgehen auf den Gegner, nicht nur phraseologische Verhüllung und Ausweichen wie sonst üblich. Dass in Wirklichkeit Wehner, wenn er gerade nicht als Volksredner auftrat, eher zum Ausgleich und zur bedingungslosen Erhaltung der Regierungsgewalt drängte, arbeitet das Buch deutlich heraus.

Das Buch kann denen nützlich sein, die noch einmal - oder zum ersten Mal - die ungeheuren Streitigkeiten mitbekommen möchten, mit denen man sich in der alten Bundesrepublik bekriegte - bei doch weitgehend gleichartiger politischer Zielsetzung. Darüber hinaus denen, die die Umformung der SPD zum Wandermarschkörper verfolgen wollen, den sie heute darstellt.

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Die Rezension erschien zuerst im Juni 2006 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, ps, 01/2011)

Christoph Meyer 2006:
Herbert Wehner. Biographie.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München.
ISBN: 978-3-423-40140-1.
596 Seiten. 9,99 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Herbert Wehner. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/733. Abgerufen am: 25. 04. 2024 06:34.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. Juni 2006
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Zum Buch
Christoph Meyer 2006:
Herbert Wehner. Biographie.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München.
ISBN: 978-3-423-40140-1.
596 Seiten. 9,99 Euro.