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Im Gewitter der Schnellschüsse einige Treffer

Buchautor_innen
Jürgen Elsässer
Buchtitel
Angriff der Heuschrecken
Buchuntertitel
Zerstörung der Nationen und globaler Krieg
Der ehemalige Stutgarter Linke und späterer Antideutsche lässt in seinem neuesten Buch allmählich seine Staatsverehrung anklingen.

“Durch so viel Formen geschritten / Durch Ich und Wir und Du” (Benn)

Der Wille zum Siegen

Aber eines muss man ihm lassen: von Gottfried Benns Müdigkeit, die aus den Versen spricht, haftet nichts an ihm. Das Ansprechende inmitten alles Schnellgedachten, das er vorbringt, ist der kalte Siegeswille. Das Napoleonische. Die berechtigte Mitteilung an die Linke, dass es nicht um Gesinnungsreinheit geht, nicht um Kreisbildung und Kreisrückkrümmung, sondern um Gewinnen oder Verlieren. Mit Recht gibt er zu bedenken, dass die, welche ernstlich die Niederlage der Europa-Verfassung wollten, die Mitwirkung der Rechten (Le Pens) in Frankreich ins Kalkül einbeziehen mussten, wenn sie die Ablehnung des Plans wirklich wollten. Was nicht heißt mit Le Pen zusammenzuarbeiten. Es heißt, wenn wir Elsässer recht verstanden haben, die Einflußsteigerung der Rechten in Kauf nehmen - für eine neue Aufstellung des Spiels, in der es erneut darum zu gehen hat, wer über wen die Hegemonie ausübt.

Das sterile Sprachspiel der Anti-Deutschen

Von daher mit Recht die Abkehr von den Anti-Deutschen. Nicht nur im Buchtext selbst, sondern auch in den Aufsätzen im Anhang weist er ihnen immer wieder nach, wie sehr sie an Worten kleben, am Ausdruck, über den sie die Sache vergessen. Gerade in den immer neuen Nachweisen des Antisemitismus eines jeden, der nicht ihrer Meinung ist. Die entscheidende Schwäche seiner Angriffe gegen die neueste Erscheinungsform des Kapitalismus ist nur, dass er sie als solche nicht gelten lässt.

Kommen die Aliens wirklich aus dem Nichts?

Nach ihm hat der traditionelle Kapitalismus eine Mutation erlitten. Im Buch steigert er die im Titel genannten Heuschrecken Münteferings zu Aliens. Ein neues Wirtschaftssystem hätte den uns vertrauten rheinischen Kapitalismus abgelöst: das der “aliens”. Gemeint sind damit Wesen und Gruppen, die auf keiner vorangegangenen Stufe der Entwicklung des Kapitalismus fußen. Denen es auch gar nicht mehr um die reale Produktion geht, sondern nur um den Schritt von G zu G’: von (investiertem) Geld zu (durch Verkauf herauszuholendem) Mehr-Geld. Ob da etwas ohne reale Produktion wie amazon.de ge- und verkauft wird - oder ein Autowerk wie Chrysler mit real herzustellenden Wagen aus Aluminium und Glas - den Aliens soll das nach Elsässer egal sein. Sie schöpfen aus einer unermesslichen Geldmenge, die in Wirklichkeit nur bedrucktes Papier darstellt. Die Militärmacht der USA verleiht diesen Papierschnipseln “noch” reale Gültigkeit. Wie wenn einer mit der Pistole rumläuft und wehrlosen Kunden seine Schecks aufdrängt, wenn sie nicht erschossen werden wollen.

Der Fordismus geriet von selbst an sein Ende

Viele jammern heute dem System von Keynes nach, oft mit Fordismus gleichgesetzt. Durch ständige Staatsnachfrage wird eine Produktion befördert, die durch regelmäßig steigende Löhne es den Fordarbeitern ermöglicht, die eigenen Autos zu kaufen Kühlschrank und Eigenheim allmählich dazu. Die Schwäche des Systems: Keynes ursprünglicher Plan, bei Erreichung der Auslastung der Produktionskapazitäten das vorher ausgegebene Geld wieder einzusparen, ging nie und nirgends auf. Als nach dem Vietnamkrieg die Gefahr drohte, dass das Ausland mit den überschüssig ausgegebenen Geldzeichen die amerikanische Produktion wegkaufte, wurde 1973 die Golddeckung des Dollar endgültig aufgegeben. Nach Elsässer hätte die Ausgabe von Geldzeichen unendlich weitergehen können. Die auf Keynes folgende Epoche der Chicago-Boys - angebliche Angebotspolitik - war von vornherein weitgehend Ausrede. Reagans riesige Ausgaben für phantastische Aufrüstungs-Projekte waren genau so deficit-spending wie vorher die Keynes-Finanzierung. Nur lief sie an der Mehrzahl der Arbeiter vorbei, und brach damit die Druckmöglichkeiten und Macht ihrer Gewerkschaften. Am Problem der Überproduktion von Geldmitteln änderte das nichts.

Wohin mit dem überschüssig produzierten Kapital?

Das Grundproblem: in der Epoche der Überproduktion von Kapital - also Geldmitteln, die auf Anlage warteten - blieb in Ermanglung ganz neuer Techniken wie einst der Eisenbahn und der Elektrizität nur noch eins an Anlagemöglichkeiten übrig: ehemals dem Staat gehörige Produktions- und Verkehrsmittel - wie Bahn, Post, Telefon, Flugzeugwesen und so weiter. Über die Privatisierung wird im Wesentlichen daran verdient, dass durch staatsgestützte Monopolisierung der Mehrheit über Preiserhöhungen immer mehr abgenommen wird. Ohne dass die Kapital-Überproduktion in neue Bahnen gelenkt werden konnte. Selbst Kriege - bisher die Patentmöglichkeit Überproduktion zu vernichten, um danach in einen neuen Zyklus einzutreten - zerstören paradoxerweise nicht genug, um ausreichend Wiederaufbaureize zu schaffen.

Der heutige Kapitalismus ist Modifikation des ewigen alten

Ergebnis des Ganzen: Die heutige Lage des Kapitals ist das Resultat einer immer neuen Folge von Auswegen aus der jeweils vorhergehenden Krise. Nur dass die Medizin sich immer neu als die Krankheit selbst herausstellt. Also nichts mit Aliens. Nichts mit Heuschrecken aus der Fremde. Natürlich weiß auch Elsässer, dass er nur Metaphern verwendet. Warum ihm das nicht zugestehen? Unbestreitbar, dass zum Beispiel Grohe aufgekauft wurde, nicht um in erster Linie zu produzieren, sondern um das Firmenvermögen herauszuholen und anderweitig zu investieren. Nur löst das das Problem des Gesamtkapitals nicht. Wohin nämlich mit dem ausgepressten Kapital? Wo es gewinnbringender als vorher investieren? Elsässers Verzicht, der Sache auf den Grund zu gehen, führt geradewegs in die Fänge Münteferings. Der hatte schließlich die Heuschrecken nicht aufschwirren lassen als Kapitalkritiker, sondern als Ablenker. Das klassische Rezept: das Gesamtkapital wird dazu gebracht, einen besonderen Zweig zu opfern, um den Rest zu retten. Ebenso wird Elsässer wehrlos gegenüber den ganzen Nachfrage-Politik-Nostalgikern dastehen, die dem angeblich gemütlichen “rheinischen Kapitalismus” nachjammern. An der Stelle erliegt Elsässer zwar nicht gerade einer Verschwörungstheorie, aber bleibt die Antwort schuldig. Warum ist es nicht beim guten alten Keynesianismus geblieben? Da man es bei ihm nicht erfährt, muss man annehmen, dass es allein am bösen Willen einer Kapitalistengruppe liegt. Wäre die erst weg - nächster, von Elsässer nicht ausgesprochener Gedanken - wäre freigelegt der Weg zurück zu Keynes.

Überprüfung der Theorie am Fall Airbus

Fern von abstrakten Überlegungen lässt sich Elsässers Theorie jetzt am Beispiel der Airbus-Zerschlagung überprüfen. Das Abschieben von zehntausend Angestellten im Gesamtkonzern würde zum Gebaren der "Heuschrecken" passen. Nicht aber die Herkunft der beteiligten Firmen, die zu EADS und hier wieder zu Airbus zusammengeschlossen wurden. Sie stammen aus in Deutschland und Frankreich bestens verankerten Firmen. In Deutschland zu Daimler. Diese Firma hat die traditionellen Flugzeugfirmen aufgekauft. Ebenso in Frankreich. Ergebnis 1. die fressenden Firmen sind genau so Produkt der herkömmlichen, jeweils eigenen Industrie. Nichts da von Aliens.

1. Dass von Unabhängigkeit der Firmen von ihren Staaten keine Rede sein kann, zeigt sich schon daran, dass nicht ein Firmen, sondern der Regierungschef Villepin die endgültige und brutale Wahrheit über die Entlassungen ausgesprochen hat. Die Staaten treten also wie in den besten STAMOKAP-Zeiten vor oder hinter ihre Konzerne.

2. Damit wird bei den jeweiligen Belegschaften ein entsprechender staatsabhängiger Firmen-Nationalismus hochgezogen. Sollen doch die Franzosen bei sich sparen... Dass die Deutschen sich immer so haben müssen...

3. Schließlich stimmt die Theorie von der immateriellen Produktion hier am allerwenigsten. Nach allem, was man hört, gelingt es Airbus für die neuen Produkte nicht, die entsprechenden materiellen Schwierigkeiten zu beseitigen, das heißt, die Teile aus den verschiedenen Zulieferwerken richtig zusammenzufügen. Das wird zwar als Planungs- und Koordinierungsfehler zwischen Ingenieuren hingestellt. Zwischendurch wird aber einer anderen Vermutung Platz gegeben: Für die hochentwickelten Fähigkeiten, die hier technisch nötig wären, wurde zu wenig für die Ausbildung ausgegeben. Wie viel das in absoluten Zahlen auch sein mag, offenbar war es zu wenig und nicht spezialisiert genug, um die verzwickten Probleme eines Flugszeugbaus dieses Ausmaßes zu lösen. Wenn das so wäre, würde es sich auf jeden Fall um den klassischen Konflikt handeln von Produktivkräften - das heißt an sich vorhandenen Bau-Möglichkeiten nach den Bedingungen von Material, Kenntnissen und aerodynamischen Gesetzen - und Produktionsverhältnissen: Das heißt, der Notwendigkeit im Kapitalismus nicht nur an Arbeitskräften absolut zu sparen, sondern auch an der Ausbildungszeit der noch nicht Eingesparten.

Solidarität mit gefährdeten Souveränitäten?

Damit kommen wir zur Rolle der Staaten. Elsässer schreibt allen Staaten außer den USA eine gewisse Widerstandkraft zu gegen den Angriff des weltlosen, staatlosen Kapitals. Überprüfen wir das noch einmal am Beispiel der Reaktionen der Staaten auf die Pläne von Airbus. Es liegt auf der Hand, dass die einzige - geringe - Chance des Widerstands im gemeinsamen Vorgehen aller Arbeitenden des Konzerns europaweit bestanden hätte. Was passierte aber? Chirac auf der französischen Seite, Oettinger und Wulff auf der deutschen traten als Schutzpatrone und Vorkämpfer auf, die an Stelle der Arbeiter den Kampf angeblich aufnehmen, sie in Wirklichkeit still zu stellen gedenken. Deutschland und Frankreich als Gewährleister der Organisierung der bestimmenden und herrschenden Produktionskapazitäten im jeweiligen Land können nur dann schützen, wenn sie den vereinigten Poduktionsmittelinhabern - Konzernen - andere Jagdgebiete, andere Beutestätten zur Verfügung stellen. Im konkreten Fall: Es kann schon sein, dass die BRD Frankreich ein paar Nichtgekündigte abgerungen hat. Aber nur, indem der diese Arbeiter aussaugende Konzern - EADS - andere Gewinnmöglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommt. Das läuft dann aber darauf hinaus, dass - genau wie Lenin das am Beispiel von Cecil Rhodes zeigt - die deutschen und die französischen Arbeiter nicht nur gegeneinander gehetzt werden, sondern auch gegen die Arbeitenden der ganzen Welt. Seine neue Staatsverehrung steigert Elsässer zur Variation von Lenin: Hatte es bei diesem geheißen: Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch, soll es jetzt heißen: Proletarier aller Länder und gefährdete Staaten vereinigt Euch. Nicht nur, dass Völker - als Vielzahl unterdrückter Personen gedacht - die Möglichkeit haben, sich zusammenzuschließen, Staaten aber nicht, weil sie gar keinen Willen haben wie ein Mensch. Wichtiger noch: Elsässer sieht zwar nicht zu Unrecht auch Staaten wie Serbien oder Iran als letzte Bollwerke gegen den Zugriff der “Aliens”, der sich im zweiten Teil seines Buchs, aber schlicht als Zugriff des imperialistischen Überstaats USA herausstellt. Wenn Elsässer immer wieder Hoffnung auf selbst räuberische Staaten wie Deutschland und Frankreich setzt, macht er den Wilderer zum Förster.

“Sklave, wer wird dich befreien...?”

Damit stellt sich zum Schluss das Hauptproblem in der Frage - nach Brecht: Sklave, wer wird dich befreien? Welche Macht wird sich gegen die Überwältigung durch das Weltkapital erheben und doch noch siegen können? Merkwürdigerweise greift Elsässer hier auf den überlieferten Begriff des Proletariats zurück - gedacht als erweiterte Masse der Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter. Obwohl er vorher zugibt, dass diese keineswegs mehr die Mehrheit darstellen.

Er führt seinen Beweis im Grunde aus der Verneinung: Durch merkwürdige Ausfälle gegen das, was man zu Marcuses Zeiten Randgruppen nannte. All die Hippies, Schwulen, Emanzen, die besonders in Berlin angeblich gehätschelt werden auf Kosten der “Familienväter”, bekommen ihr Fett weg. Ebenso ansatzweise die Migranten, so dass Elsässer sich zur Verwendung einer Lieblingsvokabel der Rechten hinreißen lässt: Inländerfeindlichkeit. Petra Pau hat ihn deshalb in einem Artikel der Jungen Welt böse heruntergemacht: Er wolle eine Partei, die sozialistisch tut, aber rechts agiert - die NPD. Der Streit wirkt erhellend. Weder lässt sich Arbeiterklasse als Masse ansehen, die schon gesammelt gleichsam im Kasernenhof auf den Startpfiff wartet, um loszustürmen - noch ist auf Randgruppen zu setzen, die die Bedingung erfüllen, die Marx der revolutionären Klasse zuschrieb: Indem sie sich selbst befreie, die ganze Menschheit mitzubefreien.

Die kämpfende Klasse aus Mitte und Rand

Der neue Begriff der revolutionären Klasse müsste vor allem auf die abstrakte Gegenüberstellung von Mitte und Rand verzichten. Der Druck, der heute auf vielen Teilen der ehemaligen Mittelschicht lastet, führt immer mehr zur Erkenntnis, dass ihnen das eigene Leben weggenommen wird. Der Verfügung des Selbst entzogen. Vor allem durch eine immer stärkere Vorenthaltung genau der Informationen, die man zur Entscheidung am dringlichsten bräuchte. Insofern verbreitet sich in breiten Schichten über das Industriearbeitertum hinaus das Gefühl, ausgeliefert zu sein, entrechtet, auch erniedrigt. Nur dass es in den meisten Fällen beim Gefühl bleibt, das nach verschiedenen Seiten ausschlagen kann. Angesichts der offenbaren Untätigkeit der etablierten Linken auch nach rechts, vielleicht und hoffentlich nur vorübergehend. Proletarität, neu verstanden, muss im Zusammentreten, Zusammentreten-können vieler einzelnen Gruppen und Grüppchen gesehen werden. Am wenigsten als die Bereitschaft, sich einer Partei anzuschließen. Mit Recht schließt Elsässer sein Buch mit dem Lob der Bürgerabstimmung in Freiburg, als es gelang, Bürgermeister Salomons Verwertungstechnik zu brechen und den Verkauf der gemeindeeignen Stadtbau zu verhindern. Das war auf jeden Fall ein Ansatz. Auf Selbstbehauptung und Auflehnung ausgerichtete Politik bestünde dann zumindest darin, solche Ansätze im Gedächtnis zu behalten und weiterzuführen. Sie vor dem Verschüttet werden bewahren. Damit gewinnt der sprachliche Anteil der Organisierung an Bedeutung. Den Niedergeschlagenen, Resignierten, Zusammengesunkenen immer neu vor Augen führen: Ihr habt es doch einmal geschafft. Probiert es wieder! Elsässers Buch ist erfrischend, weil es die sprachlichen Anstandsregeln der Linken durchbricht. Leider tut es das in einer knatternden Serie von Schnellschüssen. Mit nur wenig Treffern.

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Die Rezension erschien zuerst im April 2007 auf stattweb.de (Update: kritisch-lesen.de, sfr, 03/2011)

Jürgen Elsässer 2007:
Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg.
Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn.
ISBN: 978-3-89144-376-7.
222 Seiten. 17,90 Euro.
Zitathinweis: Fritz Güde: Im Gewitter der Schnellschüsse einige Treffer. Erschienen in: . URL: https://kritisch-lesen.de/c/777. Abgerufen am: 25. 04. 2024 22:01.

Zur Rezension
Rezensiert von
Fritz Güde
Veröffentlicht am
01. April 2007
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Zum Buch
Jürgen Elsässer 2007:
Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg.
Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn.
ISBN: 978-3-89144-376-7.
222 Seiten. 17,90 Euro.