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Zu den Waffen, Genossen!

Buchautor_innen
Stefan Liebich, Gerry Woop (Hg.)
Buchtitel
Linke Außenpolitik
Buchuntertitel
Reformperspektiven
Die Granden des „Reformer“-Lagers der Linkspartei dokumentieren, wie rot-rot-grüne Außenpolitik aussehen könnte und wie sie ein Ja zu Kriegseinsätzen begründen.

Kennen Sie das Liebich-Brugger-Papier? Oder das „Positionspapier: Für eine linke Reformperspektive“? Nicht? Müssen Sie auch nicht – sofern Sie sich nicht zum handverlesenen Kreis der ExpertInnen für Außen- und Parteipolitik von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN oder der Linkspartei zählen.

Das „Positionspapier“ ist am 31. Januar, also nach der letzten Bundestagswahl und nach der Unterschrift unter den Vertrag der Großen Koalition, von einer Reihe SPD-Bundestagsabgeordneter und anderer hochrangiger Funktionäre der Sozialdemokratie publiziert worden. Mit diesem werben sie für ein „progressiv-linkes Reformbündnis mit einer Machtperspektive 2017“. Die AutorInnen bezeichnen den per Parteitagsbeschluss im November 2013 verkündeten Bruch der SPD mit dem „Tabu einer Koalition unter Beteiligung der Partei ¸Die Linke'“ als „überfällig“. Aber, so heißt es weiter: „Nun hat auch ¸Die Linke' die Aufgabe, ihren Weg zur Regierungsfähigkeit weiter zu gehen und notwendige Fragen bei sich zu klären.“ Was damit genau gemeint ist, ging aus dem erwähnten SPD-Parteitagsbeschluss auch hervor. Eine zentrale Bedingung für eine Koalition der SPD mit der Linkspartei lautet: „Es muss eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen gewährleistet sein“. Denn, so der Sprecher der SPD-„Linken“ im Bundestag Ernst Dieter Rossmann gegenüber dem FOCUS, die Linkspartei habe bislang keine „verlässliche Haltung zur europäischen Integration, zur Nato und zu Deutschlands Verantwortlichkeit in der Welt“.

Das Liebich-Brugger-Papier kann man getrost als Reaktion auf die vom SPD-Parteitag abgesegnete Öffnung der Sozialdemokratie interpretieren. Agnieszka Brugger, Sprecherin für Sicherheitspolitik und Abrüstung der GRÜNEN-Bundestagsfraktion, und Stefan Liebich, seit Januar 2014 Obmann für Außenpolitik der LINKEN-Bundestagsfraktion, formulieren mit dem Papier ihre Ansprüche an den potentiellen großen Koalitionspartner. Auch sie wollten eine „verantwortungsvolle Außen- und Europapolitik im Rahmen internationaler Verpflichtungen“, verlangen aber von der SPD, auch auf die beiden kleinen Parteien zuzugehen. Für sie seien zum Beispiel „Auslandseinsätze der Bundeswehr ohne ein Mandat der Vereinten Nationen ausgeschlossen“. – Ja, Sie lesen richtig. Der LINKE-Außenpolitiker Stefan Liebich, seit jüngstem wieder Sprecher der „Realo“-Strömung Forum demokratischer Sozialismus (fds), hat nicht unbedingt etwas gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, sofern sie von der UNO abgesegnet werden. Dass mit ganz wenigen Ausnahmen die Kriege der letzten 25 Jahre allesamt mit Mandat des UN-Sicherheitsrats geführt worden sind und dass seit Ende der bipolaren Weltordnung die Kriegseinsätze mit dem Segen der UN exorbitant angestiegen sind, lassen sowohl Brugger als auch Liebich geflissentlich unter den Tisch fallen.

Ouvertüre zur rot-rot-grünen Außenpolitik

Die beiden Papiere der rot-rot-grünen Parteifunktionäre dokumentieren die anhaltenden Versuche, insbesondere auf dem Politikfeld, auf dem sich die größten Hindernisse für eine „zweimal rot, einmal grün“ („R2G“)-Koalition auf Bundesebene akkumulieren – der Außenpolitik –, eine Annäherung zwischen den drei Parteien herzustellen. Dass diese Bemühungen keineswegs in Zeiten der Großen Koalition eingestellt werden, zeigte auch der Europaparteitag der LINKEN in Hamburg, wo diese sich bereits qua Wahlprogramm und Kandidatenaufstellung für eine „verantwortliche Europapolitik“ ausgesprochen hat. Dies war ganz im Sinne Liebichs, der sich schon seit Jahren „für eine Stärkung der EU“ (S. 77) ausspricht.

Das kleine Bändchen „Linke Außenpolitik – Reformperspektiven“, herausgegeben von Stefan Liebich und Gerry Woop, langjähriger PDS-Funktionär, ist eine Ouvertüre zur umrissenen Politik der Linkspartei, die die regierungswilligen LINKEN-Außenpolitiker in der letzten Legislaturperiode des Bundestags aufgeführt haben, um ihre Regierungsfähigkeit gegenüber der SPD und den GRÜNEN unter Beweis zu stellen. Im Grunde handelt es sich um eine Kompilation von überwiegend bereits publizierten und öffentlich zugänglichen Aufsätzen, Interviews, Strategiepapieren und Bundestagsreden von den außenpolitischen Frontkämpfern des sogenannten „Reformer“-Flügels zu verschiedenen Feldern der Außenpolitik. Instruktiv sind die darin enthaltenen Überlegungen nicht aufgrund der vertretenen Positionen. Vielmehr veranschaulichen sie, wie die Diskurse innerhalb der Linken verschoben werden sollen, damit die außenpolitischen Standpunkte der Linkspartei sich der deutschen Staatsräson und entsprechend auch den Positionen der SPD und der GRÜNEN angleichen.

Transatlantische Bruderschaft und Einzelfalllösung

Nur, wie macht man aus einer Partei, zu deren Gründungsmythen gehört, sie sei die einzige „Antikriegs- und Friedenspartei“ im Bundestag, eine Stütze deutscher Großmachtpolitik? Man eröffnet an allen anfälligen außenpolitischen Streitpunkten Debatten und höhlt die Standpunkte so weit aus, bis sie kompatibel mit dem deutschen außenpolitischen Konsens sind.

Die NATO und die US-amerikanische Außenpolitik besitzen beispielsweise in der Linken – groß und klein geschrieben – angesichts der Kriege in Jugoslawien, gegen Afghanistan und Irak sowie historischen Verdiensten im Kampf für Demokratie im eigenen Hinterhof (Chile, Nicaragua, jüngst Kolumbien und Venezuela) zurecht einen äußerst schlechten Ruf. Über Jahrzehnte haben Friedensbewegte, KriegsgegnerInnen, WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und andere fundierte Kritiken an beiden entwickelt, die – bereits abgeschwächt – in den Forderungen der LINKEN geronnen sind, aus den militärischen Strukturen der NATO umgehend auszutreten und die Organisation aufzulösen. Gabriele Kickut, immerhin Direktorin des Zentrums für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, fällt in ihrem Beitrag nichts Besseres ein, als diese Positionen, freilich ohne irgendeinen Beleg für ihre Diffamierung, als „linken Antiamerikanismus“ (S. 51) zu diskreditieren. Ernst Krabatsch und Gerry Woop fordern auch nicht die Auflösung des transatlantischen Militärpakts oder ähnliches, sondern „ein einleuchtendes strategisches und politisches Konzept, das wirklich den zunehmend nicht militärischen Herausforderungen gerecht wird und einen möglichen Platz der NATO bei Problemlösung angemessen beschreibt“ (S. 55). Und weiter heißt es bei ihnen: Eine „Option wäre eine Transformation der NATO zu einem gesamteuropäischen, richtiger: transatlantischen bzw. transeuroasiatischen kooperativen Sicherheitssystem, die mit der Entwicklung alternativer Sicherheit im UN-Rahmen einhergehen müsste“ (S. 57). Dass solche Vorschläge für lebenserhaltende Maßnahmen des aggressivsten Militärbündnis in der Nachkriegsgeschichte exakt den Nerv eines waschechten Mitglieds der Atlantikbrücke, der elitären Lobbyorganisation deutscher Freunde der US-Politik, wie Stefan Liebich trifft, kann man sich vorstellen. Dieser war nicht nur „froh über die Wiederwahl von Barack Obama“ (S. 81), obwohl jener schon in seiner ersten Amtszeit den Drohnenkrieg und die Strategie der gezielten Tötung, um nur zwei Beispiele zu nennen, völkerrechtswidrig zur Normalität US-amerikanischer Kriegsführung gemacht hat. Stefan Liebich ist auch der Meinung, „Europa, Deutschland und die Vereinigten Staaten“ könnten „gestützt“ auf die westlichen Werte wie „Freiheit“ – die Freiheit Profite zu machen? – „eine neue transatlantische Partnerschaft begründen“ und „zusammen den Frieden in der Welt fördern“ (S. 82).

Menschenrechtsimperialismus

Noch entscheidender als die Positionsverschiebung zur NATO und US-Kriegspolitik ist die Aufweichung der grundsätzlichen Weigerung, Soldaten von deutschem Boden in alle Welt zu schicken. Das ist nicht ganz leicht, weil gleich mehrere Hürden auf einmal genommen werden müssen. Aber der Reihe nach.

Um die hartnäckige Ablehnung von Kriegen zu durchbrechen, bedarf es erstens guter Gründe. Gründe, die auch von Linken – in und außerhalb der Partei – verstanden werden. Der beliebteste ist die Anrufung der Menschenrechte und ihre Einhaltung. Diese soll Linke vor das Dilemma stellen, zwischen ihnen und der Antikriegsposition wählen zu müssen. „Eine LINKE, die für sich beansprucht, Partei der Menschenrechte zu sein, muss“ (S. 27) auf Verbrechen wie etwa in Ruanda 1994 „eine konkrete Antwort haben“ (ebd.). Ganz davon abgesehen, dass solche Ereignisse keineswegs im luftleeren Raum, sondern in internationalen, regionalen und nationalen politisch-ökonomischen und kulturellen Konstellationen geschehen, sie eine Vorgeschichte haben, „von Mord, Vergewaltigung und Vertreibung akut bedrohte [..] Menschen“ (S. 29) also nicht vom Himmel fallen und Staaten keineswegs auf Basis moralischer Erwägungen handeln, sind für Interventionen in Gebiete anderer Staaten aufgrund historischer Erfahrungen völkerrechtlich nicht unbeträchtliche Voraussetzungen erforderlich. Um diese zu umgehen, wird auch in diesem Zusammenhang das moralische „Gebot der Durchsetzung elementarer Menschenrechte“ instrumentalisiert und dem in der UN-Charta rechtlich festgeschriebenen „Nichteinmischungsgebot“ gegenübergestellt. Dies „ist gut so“, denn, argumentiert der ehemalige Verteidigungspolitische Sprecher der LINKEN Bundestagsfraktion, Paul Schäfer, Ex-Außenminister Fischer imitierend, „die Geschichte hat gezeigt, dass das Souveränitätsprinzip gerne als Instrument der Abschirmung despotischer Regime von äußerer Einmischung missbraucht wurde“ (S. 27).

Trotz der guten Gründe können Linke zweitens nicht plötzlich allen Einsätzen zustimmen. „Mandatsüberdehnungen“ – eine Verharmlosung der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats und seiner freizügigen Mandatsvergabepraxis, um die Legitimität der UNO gegen Kritik zu immunisieren – „wie in der Elfenbeinküste oder in Libyen“ (S. 20) seien natürlich nicht wünschenswert. Aber auch nicht jeder „Einsatz militärischer Gewalt“ dürfe „automatisch mit Krieg gleichgesetzt“ (S. 30) werden. „Der oberste Maßstab muss sein, ob die Bundeswehr sich strikt an Völkerrecht und Grundgesetz hält, und ob der Einsatz zur Deeskalation von Gewalt beiträgt oder nicht“ (S. 31). Dann, so das Autorenkollektiv Brie, Krabatsch, Liebich, Schäfer und Woop, „kann es im Einzelfall völkerrechtskonforme Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärisch ergänzten UN-Missionen geben“ (S. 22).

Dies sind die „Reformperspektiven“, die laut den realpolitischen Experten der LINKEN dazu führen sollen, dass linke Ideen für internationale Politik nicht bloß „wünschenswerte, aber ausschließlich ideologische und illusionäre Ideale oder Utopien bleiben“ (S. 16). Stefan Liebich übersetzte den durch politischen Neusprech verklausulierten Gehalt dieser Aussage André Bries am Rande des Europaparteitags der LINKEN in Hamburg im Februar gegenüber n-tv: „Manchmal braucht es auch militärische Gewalt.“ Also: „Aux armes, camarades!“

Stefan Liebich, Gerry Woop (Hg.) 2013:
Linke Außenpolitik. Reformperspektiven.
Welt Trends, Potsdam.
ISBN: 978-3-941880-65-8.
128 Seiten. 9,90 Euro.
Zitathinweis: Christian Stache: Zu den Waffen, Genossen! Erschienen in: Deutschland im Krieg. 32/ 2014. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1207. Abgerufen am: 29. 03. 2024 08:22.

Zum Buch
Stefan Liebich, Gerry Woop (Hg.) 2013:
Linke Außenpolitik. Reformperspektiven.
Welt Trends, Potsdam.
ISBN: 978-3-941880-65-8.
128 Seiten. 9,90 Euro.