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Es ist deutsch in Kaltland

Buchautor_innen
Karsten Krampitz / Markus Liske / Manja Präkels (Hg.)
Buchtitel
Kaltland
Buchuntertitel
Eine Sammlung
Ein Lesebuch, dass es so noch nicht gab, erzählt die unbequemen Kapitel der letzten 20 Jahre deutscher Geschichte. Es handelt vom ganz normalen Wahnsinn und den blinden Flecken im nicht mehr ganz so neuen und vereinigten Deutschland.

Im deutschen Gedenkmarathon der letzten drei Jahre bei dem der sogenannten friedlichen Revolution gedacht wurde, gingen einige Facetten der Ereignisse vor 20 Jahren unter. Auch in den „Wenderomanen und –filmen“ kamen die Ereignisse in Hoyerswerda, Eberswalde, Rostock-Lichtenhagen und vielen anderen Orten nicht mal am Rande vor. Es ist ein sehr deutsches Gedenken. Bestimmte Opfergruppen werden konsequent ausgeklammert, weil sich sonst Fragen gestellt werden müssten, die auch die Rolle der Politik und der sogenannten bürgerlichen Mitte in dieser Zeit eher kritisch beleuchten würden. Denn so friedlich wie man in den Medien gerne feststellt, waren diese Revolution und ihre Folgen nämlich nicht. Brennende Asylbewerberheime, zu Tode geprügelte und in den Tod getriebene als nicht deutsch Wahrgenommene und Politiker_innen großer Parteien, die von „Asylantenflut und „das Boot ist voll“ redeten, stellen eine andere Realität dar. Der nun erschienene Sammelband „Kaltland“ setzt sich zum Ziel, all diesen Wohlfühlwende- und –nachwendegeschichten ein Gegengewicht entgegen zu setzen.

Der Bezug des Titels auf den Text der Neuwieder Punk-Band Toxoplasma ist hier mehr als naheliegend, spiegelt sich doch die Stimmung des 1994 auf dem Album „Leben Verboten“ erschienenen Songs „Deutsch in Kaltland“ fast eins zu eins in dem Buch wider. Der Text des Liedes hätte durchaus auch in die Sammlung gepasst. Im Refrain heißt es: „Es ist Deutsch in Kaltland / in dem Land der sauberen Bürgersteige / Wo die Ordnung mehr als alles andere zählt / Es ist Deutsch in Kaltland in dem Land der glänzenden Fassaden / Wo man die wahre Reinheit / Für die reine Wahrheit hält“.

In der Form sind die Beiträge sehr unterschiedlich. Es werden Interviews geführt, Reisen durch den Osten Deutschlands dokumentiert, aber auch Ausschnitte aus Theaterstücken und Gedichte beschäftigen sich mit dem übergeordneten Thema. So breit wie die Texte angelegt sind, so vielschichtig gestaltet sich auch die Autor_innenschaft. Punkrocker (Schorsch Kamerun, Key Pankonin) kommen ebenso zu Wort, wie Schriftsteller_innen, Filmemacher_innen, Theaterleute und in die Politik gegangene ehemalige Hausbesetzer (Freke Over). Sie alle eint die Darstellungen der Nachwendezeit aus ihrer eigenen, persönlichen Sicht. Um eine wissenschaftliche Analyse der Ereignisse kann es hier allerdings nicht gehen. Es treten Sichtweisen zutage, die in der öffentlichen Wahrnehmung selten eine Rolle spielen. Die Herausgeber_innen, Karsten Krampitz, Markus Liske und Manja Präkels, versuchen in chronologischer Vorgehensweise ein Bild zu zeichnen, das als unbequeme Ergänzung bzw. Richtigstellung zu Teilen des offiziellen Geschichtsbildes der Ereignisse der letzten 20 Jahre in Deutschland zu sehen ist.

Deutsche Zustände

Zwei besonders bewegende und entsetzende Texte sind die Beiträge von Jochen Schmidt (1992 mit einem Kamera-Team im „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen) und die Auszüge aus dem Stück „Der Kick“ von Andres Veiel und Gesine Schmidt. In Ersterem wird die beklemmende und scheinbar ausweglose Situation der vietnamesischen Vertragsarbeiter während des Angriffs auf das „Sonnenblumenhaus“ beschrieben. Auch die unter Lebensgefahr erfolgte Rettung war mehr eine Frage von Glück, als Resultat der polizeilichen Hilfe oder anderer zuständigen Stellen. Jochen Schmidt war selbst mit im Haus und konnte somit auch im Nachhinein als Journalist falschen Darstellungen von offizieller Seite entgegenwirken. Im zweiten Text geht es um den menschenverachtenden Mord an dem Jugendlichen Marinus S. im uckermärkischen Potzlow im Jahre 2002. Die hier abgedruckten Auszüge unterscheiden sich sehr von dem vorangegangenen Text. Denn hier ist die Perspektive eine völlig andere. Die Täter bleiben keine Mitglieder eines anonymen Kollektivs, dass von der johlenden Menge in ihren Taten bekräftigt wird, sondern sie kommen auch selbst zu Wort. Daraus geht ziemlich klar das fast emotionslose Vorgehen und die totale Missachtung menschlichen Lebens durch die Täter hervor. Aber auch die Reflexe, die so oft nach ähnlichen Taten, wie aus einem vorgefertigten Baukasten, hervorgeholt werden, nehmen Gestalt an, wenn der Bürgermeister sagt:

„Potzlow ist ein ganz normales Dorf. Wir haben hier einen Taubenzüchterverein und eine Freiwillige Feuerwehr. Vor ein paar Jahren sind wir zum schönsten Dorf Deutschlands gewählt worden. Vor der Wende gab es fünfhundert Einwohner, inzwischen sind es sechshundert. Das ist doch auch was.“ (S. 171)

Die Tat und das Umfeld in der sie geschehen ist, rückt in den Hintergrund. Es zählt nur die Abwendung vom Übel, als welches die weltweite Berichterstattung über diese abscheulichen Geschehnisse angesehen wird. Was beiden Ereignissen gemein ist: Es gab in beiden Fällen keine konsequente Aufarbeitung der Taten! Oft kommt dazu noch eine Täter-Opfer-Umkehr wie wir es auch in vielen geschichts-politischen Diskursen erleben.

Das vorliegende Buch will die blinden Flecken in der jüngsten Vergangenheit sichtbar machen und eine breitere gesellschaftliche Diskussion anregen. Ein Gegenpol zu massenwirksamen Veröffentlichungen wie „Sonnenallee“ zu sein, ist die wichtige und richtige Intention dieses Buches. Werden viele gerade diese Geschichten in „Zeiten der Krise“ - wenn es um Verteilungskämpfe geht, zählen nicht die Nachbarn oder die denen es schlechter ergeht, sondern nur das eigene Vorankommen - wohl eher weniger interessieren, scheint die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Buches umso wichtiger. Es ist eben sehr deutsch in Kaltland!

Karsten Krampitz / Markus Liske / Manja Präkels (Hg.) 2011:
Kaltland. Eine Sammlung.
Rotbuch, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-144-8.
288 Seiten. 14,95 Euro.
Zitathinweis: Tompa Láska: Es ist deutsch in Kaltland. Erschienen in: Wem gehört die Stadt?. 12/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/c/965. Abgerufen am: 29. 03. 2024 00:03.

Zum Buch
Karsten Krampitz / Markus Liske / Manja Präkels (Hg.) 2011:
Kaltland. Eine Sammlung.
Rotbuch, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-144-8.
288 Seiten. 14,95 Euro.