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Scheidelinien: Anja Meulenbelt über Sexismus, Rassismus und Klassismus

Der Hintergrund ist einheitlich weiß. In rosa Schrift steht unterstrichen der Autorinnenname, darunter in zwei Zeilen, 50% des Covers einnehmend, "Scheidelinien". Darunter wieder in rosa Schrift dreizeilig der Zusatz "Über Sex
ismus, Rassismus und Klassismus". Unten in der Mitte das Rowohlt-Logo.
Buchautor_innen
Anja Meulenbelt
Buchtitel
Scheidelinien
Buchuntertitel
Über Sexismus, Rassismus und Klassismus
Diese Rezension von 1990, zuerst erschienen in der PROWO, geht den Überschneidungen unterschiedlicher Unterdrückungssysteme auf den Grund und zeigt, dass alte Diskussionen den aktuellen sehr ähneln können.

[Die Rezension entstand 1990 im Kontext der damals insbesondere im feministischen Teil der linksradikalen Szene einsetzenden Diskussion über Rassismus. Wichtig für die damalige Debatte waren auch das Heft 27 „Geteilter Feminismus“ der beiträge zur feministischen theorie und praxis aus dem gleichen Jahr und Übersetzungen von Texten von Jenny Bourne in dem Buch „From Resistance to Rebellion“ (Schwarze Risse / Rote Straße: Berlin/Göttingen, 1992), von denen „Für einen anti-rassistischen Feminismus!“ zuvor als Separatdruck erschienen war. Das hier besprochene Buch ist auch in dem – im Sommer 1990 veröffentlichten und die damalige autonome Diskussion stark prägenden – „Drei zu Eins“-Papier von Klaus Viehmann u.a. erwähnt.]

Was ist Unterdrückung?

Meulenbelt schreibt in ihrem Buch über die von ihr sogenannten drei großen Unterdrückungsverhältnisse Klassismus, Sexismus und Rassismus sowie über den Antisemitismus, den sie nicht einfach nur als Unterfall des letzteren betrachtet. Im I. Kapitel definiert die Autorin Unterdrückung

„als System gesellschaftlicher Ungleichheit, bei dem man von einer nachweisbaren Dominanz der einen Gruppe von Menschen über eine andere sprechen kann. Diese Dominanz findet sich meist in den gesellschaftlichen Strukturen wieder, zum Beispiel in der Gesetzgebung, die einer Gruppe mehr Vorteile sichert als der anderen, in einer Arbeitsteilung, die der einen Gruppe eine bessere ökonomische Position bietet als der anderen, oder in einer Überrepräsentanz der dominanten Gruppe an den Orten, wo Entscheidungen getroffen werden (...). Diese Ungleichheit wird außerdem oft von der öffentlichen Meinung und der herrschenden Ideologie unterstützt, die Erklärungen dafür liefern, warum es ‚natürlich’ ist, daß eine Gruppe die bessere gesellschaftliche Stellung einnimmt als die andere. Bei dieser Definition von Unterdrückung ist es (...) wichtig, daß das System auf diese Weise funktioniert, auch wenn es per se nicht so beabsichtigt ist.“ (S. 38)

Ausgehend davon stellt sich die Frage, wieso sie die in ihrem Buch behandelten Unterdrückungsverhältnisse als „große“ bezeichnet und deshalb andere nicht behandelt. Diese Frage bleibt bei ihr im Kern offen, weil sie zwar für das aktuelle Bestehen von Unterdrückung auf ein Ineinandergreifen von historischen, ökonomischen, soziologischen und psychologischen Faktoren verweist (S. 47). Damit ist aber eine theoretische Analyse der Ursachen von Unterdrückungssystemen noch nicht geleistet: Der Marxismus geht beispielsweise davon aus, daß die unterschiedlichen Formen der Klassenherrschaft eine Funktion der Entwicklung der Produktivkräfte sind, die ihrerseits wiederum der Befriedigung der sich zusammen mit ihnen weiterentwickelnden menschlichen Bedürfnisse dienen. Danach sind die jeweiligen Produktionsverhältnisse – je nach Stand der Produktivkräfte – mal Entwicklungsform und mal Fessel der Produktivkräfte. Der Marxismus geht dabei von einer Abfolge der Existenz beziehungsweise Nichtexistenz verschiedener Formen der Klassenherrschaft aus: Urkommunismus, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus und als Sonderfall der Klassenherrschaft die „asiatische Produktionsweise“. Es besteht die Möglichkeit, dieses Erklärungsschema für Klassenherrschaft – durch eine entsprechend weite Definition des Begriffes der Produktionsverhältnisse – auf andere Unterdrückungsverhältnisse auszuweiten. Und es besteht die Möglichkeit, für andere Unterdrückungsverhältnisse (also beispielsweise Sexismus und Rassismus) andere Ursachen zu sehen. Das hieße die unterschiedlichen Formen der rassistischen sowie Geschlechterherrschaft ebenfalls als Entwicklungsformen beziehungsweise Fesseln der Produktivkräfte zu betrachten. Und es besteht schließlich die Möglichkeit, den marxschen Erklärungsansatz auch bereits für die Klassenherrschaft, den Klassismus, für falsch zu halten. Diese analytisch-theoretischen Fragen bleiben bei Meulenbelt leider offen. Indem sie sich aber mit der These, „Wenn du so anfängst, kannst du Linkshänder und Motorradfahrer gleich mit auf die Liste (der unterdrückten Menschen, PROWO) setzen“, auseinandersetzt, begründet sie aber zumindest ihre weite Definition von Unterdrückung. Sie schreibt dazu: „Diese Art von Lachen ist natürlich denen vorbehalten, die nicht zu den Gruppen gehören, über die gelacht wird, und es ist ein hervorragendes Kennzeichen der Unterdrückung, von der wir sprechen.“ Ihre These ist nämlich, daß die „Formen der Unterdrückung (...) von der ‚unschuldigen’ Version, zum Beispiel oft verspottet zu werden, bis hin zu der Drohung der totalen Vernichtung“ reichten (S. 46).

Der Ausgangspunkt des Buches

Ausgangspunkt für Meulenbelts folgende Auseinandersetzungen mit Klassismus, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sind die Diskussionen in der (nicht nur niederländischen) Frauenbewegung:

„Als linke Männer uns beschuldigten, daß wir die Klassengegensätze vergessen würden, verwarf ich dies als einen männlichen Versuch, Zwietracht unter uns Frauen zu säen. Ich verstand es als sexistischen Gegenangriff, und das war es auch. Schwieriger wurde es, als die Kritik nicht von außen, sondern aus den Reihen der Frauenbewegung selbst kam, von Feministinnen aus der Arbeiterklasse – es stellte sich heraus, daß es nicht sehr viele waren – und von schwarzen Frauen (...). Nun begannen Frauen mir zu sagen, daß ich nicht nur wie sie unterdrückt sei, sondern auch ihnen gegenüber Privilegien besäße. Neue Fragen kamen auf: Warum hatte ich eigentlich keine schwarzen Freunde und Freundinnen? Warum verwirrte mich die Gegenwart schwarzer Menschen so sehr, warum wurde ich unsicher, warum machte mich Kritik so ärgerlich? Und was gingen mich die Vorwürfe der Frauen aus der Arbeiterklasse an, konnte ich etwas dafür? Hatte ich den Kapitalismus doch nicht erfunden?“ (S. 33)

Klassismus

Ausgehend davon setzt sie sich zunächst mit dem Klassismus auseinander. Dabei geht es ihr nicht nur um die Herrschaft des Kapitals über die ArbeiterInnenklasse, auch nicht um bloß ökonomische Ausbeutung, sondern um die alltägliche Erfahrung des Klassismus: das unterschiedliche Verhältnis zu Geld(ausgeben) (S. 71ff), die Geringschätzigkeitsäußerung von Menschen aus der städtischen Mittelschicht über BäuerInnen oder ArbeiterInnen (S. 74), die unterschiedlichen Chancen in der Schule und Zugangsmöglichkeiten zu Universität und Kultur, die verschiedenen Kleidungs- und Erziehungsklischees sowie unterschiedlichen Sprachen et cetera (S. 80ff). All dies ist jeweils durch Interviews mit Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten belegt. Sodann wendet sie sich im siebenten Abschnitt des Kapitels der Klassenstellung von Frauen in der Theorie zu. Zunächst setzt sie sich kritisch mit patriarchalen soziologischen Theorien auseinander, die Frauen nach der Klassenstellung des „Familienoberhauptes“, also meistens eines Mannes, einordnen. Aber auch die marxistische „Zweiteilung“ der Gesellschaft „in Bourgeoisie und Proletariat“ sei unzureichend, denn sie lasse beispielsweise die unterschiedliche Stellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt außer Acht. Außerdem gebe es

„eine große Anzahl von Menschen, die keinen Besitz an Produktionsmittel haben (selbst wenn sie mit einem solchen männlichen Besitzer verheiratet sind) und die, um zu überleben, nicht vom Verkauf ihrer Arbeitskraft, sondern vom Mann abhängig sind, der seine Arbeitskraft verkauft (...). Diese Gruppe verfügt über kein eigenes Einkommen, aber wird im Tausch für das Verrichten der Hausarbeit und die Versorgung der Kinder mit Kost und Logis unterhalten.“ (S. 112)

Schließlich diskutiert sie die These von Simone de Beauvoir, Frauen seien eine Kaste (S. 113f) sowie die radikalfeministischen (in Abgrenzung zu bürgerinnenlich-feministischen einerseits und sozialistisch-feministischen Positionen andererseits) Theorien, die „Frauen als eigene Klasse definieren“ (S. 114f). Ihre eigene Position:

„Eine Theorie, die alle Frauen zu einer Klasse zusammenfaßt, negiert die Klassenunterschiede der Frauen untereinander. (...) Eine Theorie, die blind ist für die Geschlechterunterschiede, die innerhalb jeder Klasse bestehen, verhüllt damit nicht nur die Unterschiede, die innerhalb jeder Klasse bestehen, sondern auch die Struktur des Kapitalismus selbst. Die Arbeiterklasse besteht ebenso wie die herrschende Klasse aus zwei Geschlechtern.“ (S. 116)

... in der Sprache der Übersetzerin zumindest aber nicht! Der nächste Abschnitt (S. 117ff) ist dann der Klassenstellung von Frauen in der Praxis gewidmet. Im 9. Abschnitt wendet sie sich gegen eine antifeministische Kritik an Frauen aus höheren Schichten, die für sich die gleichen Rechte wie für die Männer aus ihrer Schicht fordern. Gleichermaßen wendet sie sich dagegen, klassistisch die Forderungen beispielsweise von Mittelschichtsfrauen falsch zu verallgemeinern und damit Forderungen von proletarischen Frauen auszublenden. Die Abschnitte 10. und 11. dieses Kapitels beschäftigen sich mit dem „Klassismus innerhalb der Frauenbewegung“ (S. 131ff) und dem Zusammenhang von „Klasse und Sexismus“ (S. 140ff).

Rassismus

Zunächst eine Definition: „In diesem Buch benutze ich ‚schwarz’ nicht als Bezeichnung der Hautfarbe, sondern als politischen Begriff.“ Im Gegensatz dazu verwendet sie den Begriff „Weiße“ für die vom Rassismus Profitierenden. Die Problematik dieser Begriffsbildung diskutiert sie auf den Seiten 149ff. Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit „Rassismus als gelebte Wirklichkeit“ (S. 154ff). Als erstes schildert sie die Vermittlung rassistischer Klischees durch Schule und Medien. In dem Zusammenhang weist sie auch auf die langjährige niederländische Kolonialtradition hin. Schließlich kritisiert sie moderne Varianten des Rassismus, die nicht mehr offen mit der vermeintlichen „Minderwertigkeit“ anderer Menschen argumentieren, sondern sich auf die „Andersartigkeit“ beziehen und damit beispielsweise die Ausweisung von ImmigrantInnen und Flüchtlingen rechtfertigen. Im nächsten Abschnitt beschäftigt sie sich mit der Schwierigkeit, das Entstehen von Rassismus zu erklären. (S. 160ff) Danach beschreibt sie, wie rassistisch Unterdrückte diese Unterdrückung verinnerlichen. Die Abschnitte sechs und sieben beschäftigen sich mit der „Sozialisation von schwarzen und weißen Kindern“ (S. 172) sowie dem „Erlernen von Rassismus“ (S. 181ff). Hier macht sie sehr anschaulich, wie rassistische Vorstellungen in der Gesellschaft weiter verbreitet werden. Der nächste Abschnitt handelt vom Rassismus in der Frauenbewegung (S. 188f). Hier behandelt sie zunächst die Ausgrenzung von schwarzen Frauen durch weiße Frauen aus der Frauenbewegung. So sei z.B. in der (weißen) feministischen Literatur lange Zeit kein Platz für die unterschiedlichen Erfahrungen und Interessen von schwarzen und weißen Frauen gewesen; weiße Maßstäbe von Frauenemanzipation würden schwarzen Frauen oftmals einfach übergestülpt. So recht sie damit generell zu haben scheint, unterliegt sie doch im konkreten der Gefahr, den Sexismus praktisch zum Nebenwiderspruch gegenüber dem Rassismus (und Klassismus) zu machen – ersteren mit letzteren zu entschuldigen. Dies z.B., wenn sie folgende Zitate von schwarzen Frauen wiedergibt: „Aber es geht nicht darum, ob wir mit ihnen (den Männern) schlafen wollen. (...) Es geht darum, daß hier in Boston ein schwarzer Mann nach dem anderen ermordet wird.“ (S. 195) Meines Erachtens geht es um beides: Sowohl darum, daß Männer (und Frauen!!!) aus rassistischen Motiven ermordet werden als auch darum, daß Verhältnis von Sexualität und Herrschaft zu verändern.

Weitgehend richtig scheinen dann wieder die Konsequenzen zu seien, die sie in vier Punkten zieht (S. 200f), von denen der letzte hier zitiert sei:

„Ferner erscheint es mir als sehr wichtig, daß wir nicht beginnen, für ausländische Frauen und Frauen aus der Dritten Welt zu bestimmen, wo ihre Prioritäten liegen sollten. Für jede Frauengruppe kann die Frauenbefreiung und Emanzipation anders aussehen. Jede Frauengruppe wird diese Frage selbst zu entscheiden und zu verantworten haben. (was u.E. nicht ausschließt, darüber eine gruppenübergreifende Diskussion zu führen, PROWO). Unsere Aufgabe dabei ist, sie dort, wo es gewünscht wird, zu unterstützen und auch nur in der Form, in der diese Unterstützung gewünscht wird.“ (S. 201)

Im nächsten Abschnitt setzt sie sich kritisch mit der marxistischen Nebenwiderspruchsthese in Bezug auf den Rassismus auseinander, dieser sei nur eine Folge des Kapitalismus (S. 203).

„(...) in einem gewissen Sinne können wir erkennen, daß farbige Menschen, die eine höhere Stellung bekleiden weniger diskriminiert werden. Auch wenn mir eine chinesische Augenärztin erzählte, wie häufig sie gefragt würde, ‚ob denn der Herr Doktor nicht kommt’. Klasse und Hautfarbe haben viel miteinander zu tun, dennoch ist es falsch anzunehmen, Rassismus wäre nur eine Nebenerscheinung des Klassismus. Das ist an einer Tatsache sofort zu erkennen: Rassismus tritt sicher nicht nur bei den Machthabern auf, die ein Interesse an der ökonomischen Ausbeutung der Arbeiterklasse haben.“ (S. 203f)

Das Kapital kennt im Normalfall keine Grenzen und Nationen, sondern will sich schlicht verwerten; aber die weiße ArbeiterInnenklasse ist es, die ein eigenständiges Interesse daran hat, gegenüber der schwarzen ArbeiterInnenklasse privilegiert zu werden – genauso wie Männer ein Interesse daran haben, besser bezahlt zu werden als Frauen. Und nicht nur von staatlichen Entscheidungsstrukturen, sondern auch von den Strukturen der Linken sind Schwarze ausgeschlossen oder unterliegen zumindest einem diskriminierten Zugang. Auch die Erfahrungen in den Staaten des antiimperialistischen Lagers zeig(t)en, daß die Aufhebung der kapitalistischen Klassenherrschaft nicht automatisch ein Ende des Rassismus bedeutet. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels (S. 206ff) geht es dann darum, wie sich Klassismus, Sexismus und Rassismus gegenseitig bedingen. Und darum, daß sich Klassenherrschaft geschlechts- und „rassen“spezifisch auswirkt und umgekehrt: daß Rassismus und Patriarchat klassenspezifische Erscheinungsformen haben.

Antisemitismus

Im IV. Kapitel beschäftigt sich Meulenbelt einerseits in den Abschnitten 2. bis 5. mit den Auswirkungen der Jahrhunderte währenden Verfolgung von Juden und Jüdinnen, insbesondere des Holocaust, auf das heutige jüdische Bewußtsein (S. 219ff) und anderseits in den Abschnitten 1. und 6. mit dem Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus. Hier zeigt sich erneut der Vorteil ihrer weiten Definition von Unterdrückung. Auch wenn Juden und Jüdinnen heute in den Niederlanden nicht direkt benachteiligt werden, ist es ihr damit möglich, auch aktuell den Antisemitismus als (besonderes) Unterdrückungsverhältnis zu erfassen. Juden und Jüdinnen seien zurzeit beispielsweise nicht (so) wie Schwarze von führenden gesellschaftlichen Positionen ausgeschlossen. Einerseits seien Juden und Jüdinnen als Weiße gegenüber Schwarzen privilegiert (S. 218f); Jüdisch-sein schütze aber nicht davor, gleichzeitig rassistisch gegenüber Schwarzen zu sein (S. 238). Andererseits gebe es aber auch einen Schwarzen Antisemitismus (ebd.).

Männer

Im nächsten Kapitel geht sie unter anderem der Frage nach, ob auch Männer Opfer des Patriarchats sind beziehungsweise sein können. Sie zitiert dazu die Feministin Carol Ehrlich:

„Ein Mann kann sich weigern, Frauen, die er kennt, zu unterdrücken; er kann den Haushalt und die Sorge für die Kinder teilen, er kann jede unappetitliche Einzelheiten des Machoverhaltens ablegen. Aber in dem Moment, wo er mehr Geld verdient als seine weibliche Kollegin, (...) ist er immer noch Mitglied einer privilegierten Gruppe.“ (S. 246)

Meulenbelt selbst schreibt, schon ihre Definition von Unterdrückung als Dominanz einer Gruppe über die andere mache im Patriarchat genauso unmöglich, daß Männer als Männer unterdrückt werden, wie es unter gegenwärtigen Verhältnissen unmöglich ist, daß Weiße als Weiße unterdrückt werden. (S. 246f) Im 3. Abschnitt schreibt sie von „Männern als potentielle(n) Verbündete(n)“ der Frauenbewegung. Hier unterliegt sie erneut der Gefahr, Sexismus nachrangig zu behandeln. Recht hat sie allerdings, wenn sie die Frage aufwirft, „ob nicht beispielsweise die Klassenverhältnisse zwischen Männern zur Aufrechterhaltung des Sexismus beitragen“ und betont: „Das macht einen extremen(?!) Sexismus nicht weniger sexistisch und auch nicht akzeptabel.“ (S. 250)

Schließlich schreibt sie zum Separatismus:

„Wo aber diese ursprüngliche Erkenntnis (nämlich, daß viele Interaktionen zwischen Frauen und Männern zum Schaden von Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen einseitig verlaufen, PROWO) zu dem Dogma und der feministischen Vorschrift erstarrt, die da lautet: ‚Du sollst keine Energie in Männer stecken, denn alle Energie, die in Männer geht, geht den Frauen verloren’, arbeitet sie schließlich einer wirklichen Veränderung entgegen. (S. 251)“

Ein solcher Automatismus bestehe aber nicht, dies hänge vielmehr „davon ab, wie, auf welche Weise, mit welchem Ziel wir mit unserer Energie umgehen“ (ebd.).

Die Abschnitte 4. und 5. dieses Kapitels beschäftigen sich mit der „Sozialisation zum Mann“ und der „Schädlichkeit von Geschlechterrollen“. In den beiden Abschnitten danach geht es noch einmal um den Zusammenhang von „Männlichkeit, Klasse und Hautfarbe“ (S. 260ff) und die sich daraus ergebenden „Anknüpfungspunkte“ für die Frauenbewegung (S. 264ff).

„Perspektiven: Hoffnung und Verzweifelung"

Im letzten Kapitel, das die vorstehende Überschrift trägt, behandelt Meulenbelt u.a. noch einmal die Alternative „Separatismus oder Zusammenarbeit?“ (S. 274ff) In ihrem Schlußwort faßt sie ihr Anliegen noch einmal zusammen:

„Ich habe versucht, die Notwendigkeit aufzuzeigen, jede Form der Unterdrückung für sich zu betrachten, wie diese historisch gewachsen ist, welche Folgen diese für Menschen auf der unterdrückten Seite und welche sie auf der dominanten Seite hat. Daneben ist es aber nötig, daß wir über die Grenzen unserer eigenen Unterdrückung hinausschauen und erkennen, wie die verschiedenen Formen – Sexismus, Rassismus und Klassismus – sich gegenseitig bedingen.“ (S. 296)

Diese Sichtweise kann meines Erachtens „nur dazu beitragen, die sachlichen Zusammenhänge zwischen ihnen genauer zu erkennen und auf dieser Grundlage die erforderlichen Bündnisse zwischen ihnen reichhaltiger zu entwickeln als dies auf der Grundlage einer nur imaginären Einheit in einem vorgestellten ‚totalen Emanzipationsprozeß’ möglich ist.“ (Wolf 1988, S. 23ff) Schließlich ist für die Entwicklung einer adäquaten Strategie der noch einmal quer stehende Charakter ökologischer und antiimperialistischer Transformationskämpfe zu berücksichtigen, die sich jeweils gegen eine Kombination von Elementen patriarchaler, kapitalistischer (und in letzterem Fall: rassistischer) Unterdrückungsverhältnisse wenden.

Resümee

Ihrem eigenen Anliegen ist Meulenbelt meines Erachtens gerecht geworden. Sie hat in ihrem Buch (auch in ihrem 38-seitigen Literaturverzeichnis, das vor allem englische und niederländische, aber auch deutsche Literatur erschließt) reichhaltiges Material für die weitere linke Diskussion zusammen gestellt. Dies gilt nicht nur für ihre Kritik am orthodoxen Marxismus, der GeschlechterHerrschaft und Rassismus offen zu Nebenwidersprüchen erklärt. Ihr ist es als Feministin vielmehr auch gelungen, diesen auf seinem ureigensten Feld, der Auseinandersetzung mit der Klassenherrschaft, zu schlagen. Sie lenkt den Blick der LeserInnen auf Themen, die dem Ökonomismus der traditionellen Linken leicht entgehen. Damit ist das Buch trotz einiger vorstehend diskutierten Defizite und Unklarheiten unbedingt zur Lektüre zu empfehlen. Diese kann auch nicht durch eine Rezension dieser ungewöhnlichen Länge ersetzt werden.

Zusätzlich verwendete Literatur

Wolf, Frieder Otto 1988: Vom Picknick im sterbenden Wald. In: Horizonte Nr. 6. S. 23ff.

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Diese Rezension erschien zuerst in der PROWO, Nr. 6, 28.09.1990 und unter diesem Datum nachträglich – zusammen mit einer selbstkritischen Vorbemerkung – auch auf theoriealspraxis.blogsport.de und wurde uns freundlicherweise von dem/der damals Autor – heute: AutorIn – zur Verfügung gestellt.

Anja Meulenbelt 1988:
Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 978-3499193552.
336 Seiten.
Zitathinweis: Detlef Georgia Schulze: Scheidelinien: Anja Meulenbelt über Sexismus, Rassismus und Klassismus. Erschienen in: Überschneidungen von Unterdrückungen. 10/ 2011. URL: https://kritisch-lesen.de/c/938. Abgerufen am: 29. 03. 2024 00:24.

Zum Buch
Anja Meulenbelt 1988:
Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus.
Rowohlt Verlag, Reinbek.
ISBN: 978-3499193552.
336 Seiten.