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Transparentissimo – oder: Wenn Philosophen die Erotik des Feudalismus entdecken!

Buchautor_innen
Byung-Chul Han
Buchtitel
Transparenzgesellschaft
Mit seinen apodiktischen Thesen verbaut sich Han jede Möglichkeit einer fundierten und abwägenden Kritik am Konzept der „Transparenzgesellschaft“.

Vorab: Allem Anschein nach habe ich in der letzten Zeit einiges verpasst, denn irgendwie scheint es gegenwärtig Mode zu sein, radikal und kritisch wirkende Texte zu verfassen, die seltsam gezwungen angedackelt kommen und sich vor allem dadurch auszeichnen, dass in ihnen kaum wirklich argumentiert, sondern eher auf nietzscheanische Überwältigung des/der Lesenden gesetzt wird. Dass man in Ehrfurcht vor den aneinandergereihten apodiktischen Aussagen erstarrt, mag sich möglicherweise auch der Philosophieprofessor Byung-Chul Han wünschen, schließlich hat er es mit der Transparenz nicht so und vielleicht ist das Einfordern eines nachvollziehbar entfalteten und begründeten Gedankens für ihn schon Teil jener brutalen „Transparenzgesellschaft“ – jener „Hölle des Gleichen“ (S. 6; Hervorhebung im Original) – die das Thema seines Essays bildet.

Der Horror der Transparenz

Wie es sich gehört, gibt sich ein Philosoph mit nichts Geringem ab: „Kein anderes Schlagwort beherrscht heute den öffentlichen Diskurs so sehr wie die Transparenz.“ (S. 5) Wir haben es aber anscheinend nicht nur mit einem Schlagwort zu tun, sondern wir leben bereits in einem „ganz neuartigen, aperspektivischen“ Panoptikum (S. 74; Hervorhebung im Original), in dem es keine Hierarchien gibt – „kein zentrales Auge, keine zentrale Subjektivität oder Souveränität“ (S. 76) – und in dem anscheinend jede/r „von allen Seiten, von überall her, ja von jedem ausgeleuchtet werden kann“ (S. 75). Eine merkwürdige Realitätswahrnehmung, die alles in einem entdifferenzierten Brei untergehen lässt: wo die faktische Durchleuchtung von Hartz 4-BezieherInnen auf gleicher Stufe angesiedelt ist, wie die Forderung nach einer Offenlegung von Managergehältern. Im Zweifelsfall scheint sich Han aber immer auf die Seite der Oberen zu schlagen. So polemisiert er gegen die Gedanken eines gewissen David Brin:

„Jeder asymmetrische Informationsfluss, der ein Macht- und Herrschaftsverhältnis hervorbringt, soll [nach Brin; P.K.] eliminiert werden. Gefordert wird also eine reziproke Ausleuchtung. Nicht nur das Unten wird durch das Oben, sondern auch das Oben durch das Unten überwacht. Jeder liefert jeden der Sichtbarkeit und Kontrolle aus, und zwar bis in die Privatsphäre hinein. Diese Totalüberwachung degradiert die ‚Transparent Society’ zu einer inhumanen Kontrollgesellschaft. Jeder kontrolliert jeden.“ (S. 77)

Wie frech, dass „auch das Oben durch das Unten“ überwacht werden soll! Nichtsdestotrotz ist das Problem, das Han hier am Wickel hat, grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Wenn man Foucaults „Überwachen und Strafen“ im Hinterkopf hat, kann einen folgende Ausführung durchaus beunruhigen:

„Wir wollen eine Gesellschaft haben, wo kein auferlegter Zwang vorhanden ist, sondern wo der unentbehrliche Zwang von selbst, von innen heraus aus dem Menschen kommt. Wenn man sagt, die anarchistische Gesellschaft sei eine Gesellschaft ohne jeglichen Zwang, so ist damit noch nicht gesagt, was hinter dem Negativen und Positiven steht; ohne jegliche Herrschaft geht es gar nicht; nur muss die Herrschaft des Geistigen, des Inneren, an die Stelle des Reglementierens treten.“ (Landauer 1909, S. 163f)

Allerdings war Landauer, als intensiver Leser Stirners – und damit dessen scharfer Kritik an allen Formen verinnerlichter Herrschaft – diese Problematik nicht unbekannt. Und man kann in diesem Zusammenhang daran erinnern: Dass gerade in der anarchistischen Kritik – mit ihrem Fokus auf die Freiheit des/der Einzelnen – immer wieder auch verschiedene Formen der Kontrollgesellschaften thematisiert und zurückgewiesen wurden. So betonte beispielsweise einmal Erich Mühsam in einer Polemik gegen den Philister, dem er genau eine solche Überwachungsmentalität vorwarf:

„Das Kriterium der Philistrosität ist nämlich nicht die größtmögliche Anpassung an die Gepflogenheiten der Mehrzahl, sondern die eifersüchtige Bewachung des Nebenmenschen, ob er nicht etwa die Grenzen des Philisterhorizonts überschreitet.“ (Mühsam o.J.: S. 93)

Ästhetisierendes Verklären der Macht

Byung-Chul Han aber argumentiert in eine andere Richtung: Nicht eine kritische Selbstreflexion der Revolte auf deren immanent latente Gefahren scheint seine Sache zu sein, sondern die Affirmation einer Art geheimnisvollen Macht. „Die Transparenz und die Macht“, so heißt es,

„vertragen sich schlecht. Die Macht verhüllt sich gerne ins Geheimnis. Die Arkan-Praxis ist eine der Techniken der Macht. Die Transparenz baut die Arkansphäre der Macht ab. Die gegenseitige Transparenz kann aber allein durch permanente Überwachung erreicht werden, die eine immer exzessivere Form annimmt. Das ist die Logik der Überwachungsgesellschaft. Außerdem vernichtet die totale Kontrolle die Handlungsfreiheit und führt letzten Endes zu einer Gleichschaltung. Das Vertrauen, das freie Handlungsspielräume hervorbringt, kann nicht einfach durch die Kontrolle ersetzt werden: ‚Die Menschen müssen ihrem Herrscher glauben und vertrauen; mit ihrem Vertrauen gewähren sie ihm eine gewisse Handlungsfreiheit und verzichten auf eine ständige Prüfung und Überwachung. Ohne solche Autonomie könnte er tatsächlich keinen Schritt tun.’ [R. Sennett]“ (S. 78).

Der junge Engels hatte mal erklärt, dass er „blos von dem Fürsten etwas Gutes“ erwarte, „dem die Ohrfeigen seines Volks um den Kopf schwirren, und dessen Pallastfenster von den Steinwürfen der Revolution zerschmettert werden“. Ein solches Szenario aber wäre für Han wohl nicht positiver Ausdruck eines radikalen Demokratieverständnisses, das „dauernd in die Schule des Herrschaftsverdachts geht“ – wie Wolf-Dieter Narr und Richard Stöss mit Blick auf Johannes Agnoli ausführten (Narr/Stöss 2007: S. 836) –, sondern eher ein solcher Horror, dass er lieber gleich in den feudal geprägte Verhältnisse zurück möchte. Denn:

„Die Welt des 18.Jahrhunderts war noch ein Theater. Sie war voller Szenen, Masken und Figuren. (…) Menschen waren regelrecht verliebt in Szenen (…). Haartrachten der Damen (…) wurden zu Szenen gestaltet (…). Zur Darstellung von Szenen wurden auch Porzellanfiguren ins Haar eingeflochten.“ (S. 70f; Hervorhebung im Original)

Putzig, wie nett das alles damals war, nur das sich hier hinter „Menschen“ und „Damen“ eine verschwindend kleine Oberschicht verbirgt. Aber die ärmliche Frau, die dann im 18. Jahrhundert 14-16 Stunden in die Fabrik gehen musste, gehört dann wohl eher zu den, die Transparenz einfordernden ProtofaschistInnen im Gewand Rousseaus.

Auch die Sache mit der Gleichheit bekommt ihr Fett weg:

„Die Transparenz ist ein Zustand der Symmetrie. So ist die Transparenzgesellschaft bestrebt, alle asymmetrischen Beziehungen zu beseitigen. Zu ihnen gehört auch die Macht. Die Macht an sich ist nicht diabolisch. Sie ist in vielen Fällen produktiv und hervorbringend. Sie generiert einen Frei- und Spielraum zur politischen Gestaltung der Gesellschaft. Die Macht ist im hohen Maße auch an der Produktion von Lust beteiligt.“ (S. 31; Hervorhebung im Original)

Schön, wie aus einer kritischen Theorie, die sie bei Foucault noch im Großen und Ganzen war, nun ein die Herrschaft affirmierendes Denken hervorgeht. Nicht zuletzt, weil sie Politik nach dem Muster der Erotik analysieren zu können meint. Im Alltag jedoch sind solche Verhältnisse dann doch oft weniger prosaisch und da erscheint es verhältnismäßig wenig von Bedeutung, dass es „keine Erotik der Transparenz“ geben mag (S. 43).

Das Ärgernis der Unbestimmtheit

So wichtig die eigentlich von Han behandelte Frage nach den Gefahren von Transparenz ist, so verbaut er sich nicht zuletzt mit einer apodiktischen Aussage nicht nur jede nuancierte Behandlung dieser Gefahren, sondern macht auch jede emanzipatorische Antwort unmöglich . Denn: „Wer die Transparenz heute allein auf Korruption und Informationsfreiheit bezieht [fordert?; P.K.], verkennt ihre Tragweite. [Dynamik?; P.K.] Die Transparenz ist ein systemischer Zwang [wodurch?; P.K.], der alle gesellschaftlichen Vorgänge erfasst und sie einer tiefgreifenden Veränderung unterwirft.“ (S. 6; Hervorhebung im Original) Was heißt das? Lasst die Mächtigen in ihrer Dunkelheit und Abgeschiedenheit gewähren, andernfalls kann uns nur ein transparenter Gulag drohen?
Umso merkwürdiger, dass Han seine Ausführungen auch als antikapitalistisch und emanzipatorisch zu verstehen scheint, erklärt er doch: „Der Transparenzzwang stabilisiert das vorhandene System sehr effektiv. (…) Ihr wohnt nicht jene Negativität inne, die das vorhandene politisch-ökonomische System radikal in Frage stellen könnte.“ (S. 16) Han lässt einen ein wenig ratlos zurück, denn: Was will er uns eigentlich mitteilen?

Zusätzlich verwendete Literatur

Gustav Landauer 1909: Sozialismus und Bürgertum, in: ders. Antipolitik. Ausgewählte Schriften. Band 3.1. Lich: Edition AV, 2010. S. 157-165.

Erich Mühsam o.J.: Bohême, in: ders. Trotz allem Mensch sein. Gedichte und Aufsätze. Stuttgart: Reclam Verlag, 2003. S. 93-99.

Wolf-Dieter Narr, Richard Stöss 2007: Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“. Ein Beitrag zur gesellschaftskritischen Politikanalyse, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen. Heft 4 (2007). S. 828-841.

Byung-Chul Han 2012:
Transparenzgesellschaft.
Matthes & Seitz, Berlin.
ISBN: 978-3-88221-595-3.
96 Seiten. 10,00 Euro.
Zitathinweis: Philippe Kellermann: Transparentissimo – oder: Wenn Philosophen die Erotik des Feudalismus entdecken! Erschienen in: Körperregeln. 18/ 2012. URL: https://kritisch-lesen.de/c/1023. Abgerufen am: 29. 03. 2024 09:24.

Zum Buch
Byung-Chul Han 2012:
Transparenzgesellschaft.
Matthes & Seitz, Berlin.
ISBN: 978-3-88221-595-3.
96 Seiten. 10,00 Euro.